NETZWERK ARTIKEL 3
Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V.



Kritische Würdigung des Entwurfs eines Bayerischen Gesetzes zur Gleichstellung, Integration und Teilhabe von Menschen mit Behinderung und zur Änderung anderer Gesetze (bayBGGuÄndG, Stand 19.07.2002)


von Alexander Drewes
(Forum behinderter Juristinnen und Juristen [FbJJ]/
Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben behinderter Menschen
in Deutschland e.V. [ISL])

Bereits in einer Podiumsdiskussion am 07. Mai 2002, die der Verbund selbstbestimmter Arbeitgeber - Selbstbestimmt Leben e.V. (VbA) veranstaltete, wurde offenbar, dass die bayerische Staatsregierung sich bei einem durch den Freistaat Bayern vorzulegenden Gesetzentwurfes eines Landesgesetzes für behinderte Menschen am Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen des Bundes (BGG) orientieren würde. Wie der Referatsleiter Dr. Baumann aus dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen (StMAS) ausführte, hielte es die Staatsregierung nicht für opportun, eigene Begriffsdefinitionen beispielsweise zum Behindertenbegriff auf Landesebene vorzulegen. Begründet wurde das damit, dass sich eine Länderarbeitsgruppe der Sozialministerien darauf verständigt hatte, zur Vermeidung von Differenzen in den Definitionen die Begriffsdefinitionen des BGG auf Länderebene zu verwenden.

Das hat für den hier vorgelegten Entwurf sowohl einige deutliche Vorteile, allerdings auch gravierende Nachteile. Auf beides wird in diesem Text näher eingegangen.

Vor- und Nachteile im vorgelegten Entwurf vom 19.07.2002

Kurios ist bereits (so wohl nur im Freistaat Bayern möglich), den Lebensschutzgedanken in einem Gleichstellungsgesetz als vorrangige Maxime festzulegen. So gilt der Lebensschutzgedanke noch vor der Verpflichtung, Benachteiligungen zu verhindern oder zu erschweren und eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen.
Ein derartiger Ansatz gehört im Grunde nicht in ein Gleichstellungsgesetz, zeigt aber doch den zu honorierenden Willen der bayerischen Staatsregierung, behinderten Menschen in ihrem Lebensrecht – zumindest augenscheinlich – den gleichen Stellenwert einzuräumen wie solchen, die keine Behinderung haben. Hier bleibt zu hoffen, dass die bayerische Staatsregierung weiterhin über den Bundesrat den nötigen Druck auf den Bund ausübt, biomedizinische Verfahren wie die Präimplantationsdiagnostik (kurz: PID) oder die embryonale Stammzellenforschung zu verhindern. Derartige biomedizinische Verfahren müsse grundsätzlich immer auch unter dem Aspekt der Verhinderung behinderten Lebens betrachtet werden.

Um bei den Begrifflichkeiten zu bleiben:

Störend wirkt weiterhin der Ansatz einer «ganzheitlichen Betreuung» in einem Gesetz, das es behinderten Menschen geradezu ermöglichen soll, vom Gedanken der Betreut-Werdens Abstand nehmen und – soweit dies überhaupt mach- und leistbar ist - ein selbstständiges Leben führen zu können.


Zu kritisieren ist – natürlich – auch der weiterhin überwiegend defektorientierte Begriff der Behinderung. Dieser geht eben nicht davon aus, dass Menschen, die körperlich, an ihren Sinnen, in ihrer Lernfähigkeit oder psychisch beeinträchtigt sind, überhaupt erst dadurch «behindert» werden, dass die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausgrenzenden Charakter gegenüber diesem Personenkreis haben.

Lobenswert - aber im Rahmen der Schaffung eines derart umfassenden Gesetzes selbstverständlich zu erwarten - ist hingegen die Übernahme der Regelung, die behinderte Frauen betrifft.

Das Schmuck- und Prunkstück des ganzen Gesetzes ist der ebenfalls aus dem BGG übernommene Begriff der Barrierefreiheit. Mit ihm wird die größtmögliche Freiheit für behinderte Menschen von jeglicher Einschränkung im täglich erleb- und erfahrbaren öffentlichen Raum beschrieben. Wenn das Gesetz eine konsequente Durchführung erfährt und die Rahmenregelungen stimmen, wird es gelingen, behinderten Menschen Barrierefreiheit zu ermöglichen.

Keinen Grund zur Beanstandung liefert die Definition des Begriffes der Benachteiligung. Sie fußt weitgehend auf Vorarbeiten des ehemaligen Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) und des FbJJ, die letztlich in das BGG eingeflossen sind.
Danach darf in Bayern künftig kein behinderter Mensch ohne sog. zwingenden Grund benachteiligt werden. Das wird so vom Ministerium zunächst definiert und bedarf einer später folgenden Norm.

Dass die Gebärdensprache und andere Kommunikationsformen für hörbehinderte Menschen in einem Gleichstellungsgesetz anerkannt werden, darf man dann schon zu den Selbstverständlichkeiten zählen; sie sind ebenfalls aus dem BGG übernommen worden.


Eine Besonderheit des bayerischen Entwurfs gegenüber den bisher bekannt gewordenen stellt sodann die Sicherung der Teilhabe dar. Dies ist ein Instrument, das eigentlich dem Sozialgesetzbuch 9. Buch (SGB IX) entlehnt ist.
Den Ansatz, Teilhabe behinderter Menschen auch über die Selbsthilfe dieser Personengruppe organisieren zu wollen, muss man allerdings als gescheitert betrachten. Durch den Gesetzeswortlaut dieser Norm sollen im Gesetz die weitgehend bestehenden Verhältnisse in der Behindertenhilfe zementiert und insbesondere der Behindertenselbsthilfe wenig bis keine Möglichkeit gegeben werden, an der Verbesserung der Teilhabe von behinderten Menschen am gesellschaftlichen Leben auch wirklich partizipieren zu können.
Dass insbesondere die Behindertenselbsthilfe hier weitgehend außen vor bleiben wird, zementiert die präzisierend gemeinte und doch unkonkrete Norm, die sich mit den Selbsthilfe-Organisationen befasst. Wörtlich heißt es in den Allgemeinen Bestimmungen unter Art. 8 «Die Selbsthilfe-Organisationen von Menschen mit Behinderung oder chronischer Krankheit und von deren Angehörigen nehmen für die Sicherung der Teilhabe wichtige Aufgaben im Bereich der Behindertenhilfe wahr.»
Es wird nicht ausgeführt, worin diese Aufgabenstellung denn konkret liegen soll. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, soll die Teilhabesicherung nicht vom guten Willen des StMAS abhängen.

Das Gesetz legt weiterhin fest, dass besondere Maßnahmen zum Abbau und zur Beseitigung von Benachteiligungen zulässig seien und dass der geschlechtsspezifischen Benachteiligung Rechnung zu tragen sei. Insofern darf man gespannt sein, wie sich diese Normen, die zwar wichtig sind, aber ohne Ausfüllung im vorliegenden Gesetz eben doch als Leerformel wirken, in der Realität des behördlichen Alltags wirklich auswirken werden. Hier muss die Staatsregierung also noch Folgeregelungen vorlegen, mit Hilfe derer man dann erst wird sagen können, wie sich die Forderung nach Beseitigung von Benachteiligungen tatsächlich darstellt.

Einen Skandal stellt die Verwässerung der bereits im BGG nicht gerade überwältigend geratenen Norm zur Herstellung der Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr dar. Nicht nur, dass das Ministerium sich hier in keiner Weise bereit gefunden hätte, Fristen für die Herstellung von Barrierefreiheit bei bereits bestehenden Bauten festzulegen, er vermeidet es sogar, die Bauträger des Landes auch nur darauf zu verpflichten, dass Neu- und wesentliche Um- und Erweiterungsbauten barrierefrei zu gestalten sind. Dies wird durch die Verwendung des Terminus «sollen» in der entsprechenden Norm ausgedrückt.
Für den Bereich Verkehr ist das Ministerium immerhin so ehrlich, bereits in der Präambel des Gesetzes dem Vorspruch zu dem Gesetz anzukündigen, dass sowohl Neuanschaffungen als auch Umrüstungen sowohl von Fahrzeugen als auch der Infrastruktur unter einem Haushaltsvorbehalt stehen. Das bedeutet konkret aber nichts anderes, als dass Barrierefreiheit des Verkehrs in Bayern auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden kann. Hierfür muss lediglich das Finanzministerium nur andere Prioritäten als die der «Barrierefreiheit im Verkehr» setzen oder den Haushaltstitel Barrierefreiheit im ÖPNV des Verkehrsministeriums nicht genügend ausstatten.
Das ist aber keine juristische, sondern allenfalls eine politische Entscheidung.
Behinderten Menschen, die auf den ÖPNV angewiesen sind, ist hiermit durch das Landesgleichstellungsgesetz in keiner Weise geholfen. Auch hier hat sich das Sozialministerium – wie bereits beim Thema Bauen - vor dem Konflikt mit den kommunalen Aufgabenträgern im Bereich Bau und Verkehr gedrückt.

Dass dies für die Bereiche Bau und Verkehr auch offensichtlich so gewollt ist, Das sieht man an dem Katalog, in dem die einzelnen Bereiche vom Ministerium genannt sind, die künftig barrierefrei zu gestalten sind. So hat die bayerische Staatsregierung «vergessen», Anlagen für die religiöse Betätigung in ihrem Katalog aufzuführen. Das zeigt, wie gottesfürchtig Bayern sofort vor den beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften eingeknickt ist.
Auch Schulen, Hochschulen und Volkshochschulen unterliegen nicht der bauordnungsrechtlichen Regelung. Insbesondere auf die Kindergärten und Horte, die Schulen und Hochschulen wird weiter unten noch gesondert eingegangen. Auch wäre es sinnvoller gewesen, Bildungs- und Kultureinrichtungen präziser zu benennen, genauso solche des Gesundheitswesens.

Dass eigentlich alle baulichen Bereiche des öffentlichen Lebens barrierefrei zu gestalten sind, ergibt sich ja bereits aus der geänderten Fassung des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 BayBauO. Danach sind öffentlich zugängliche bauliche und sonstige Anlagen sowie Einrichtungen, die in den Teilen, die dem öffentlichen Besuchsverkehr dienen so zu gestalten, dass sie von behinderten und alten Menschen sowie Personen mit Kleinkindern barrierefrei genutzt werden können.

Problematisch ist dies aus zweierlei Gründen: zum einen meint der Freistaat Bayern offenkundig, Barrierefreiheit bezöge sich nicht auf seine eigenen Beamten und Angestellten, sofern diese nicht im unmittelbaren Publikumsverkehr beschäftigt seien.
Nicht anders ist es zu erklären, weshalb sich die Barrierefreiheit lediglich auf diejenigen Bereiche reduziert, die dem unmittelbaren Publikumsverkehr dienen. Zum anderen versteht die bayerische Staatsregierung Barrierefreiheit beim Bauen scheinbar nur im Hinblick auf körperlich eingeschränkte Menschen, nicht hingegen darauf, dass auch sinnes- und lernbehinderte Menschen bei Gebäuden und sonstigen baulichen Anlagen regelmäßig Barrieren gegenüberstehen. Das ist völlig inkonsequent, stellt es doch eine nicht nachvollziehbare Einengung des Barrierefreiheitspostulats des bayBGG dar. Diese Regelung ist und in dieser Form überhaupt nicht hinnehmbar.

Das Nullsummenspiel des bayBGGuÄndG setzt sich im Denkmalschutzrecht sowie im Straßen- und Wegerecht fort. So sind zwar die Belange behinderter Menschen auch im Denkmalschutz sowie im Straßen- und Wegerecht zu berücksichtigen, aber durch das Außen-vor-lassen jeglichen Rechtsanspruchs ist keinerlei erstreitbares Ergebnis für behinderte Menschen ersichtlich.

Beim Denkmalschutz wird dies sogar noch dadurch eingeschränkt, dass der Barrierefreiheit andere überwiegende öffentliche Belange entgegenstehen können. Da hierzu auch die Verkehrssicherheit zählt, darf man getrost davon ausgehen, dass sich in diesem Bereich wie auch beim Straßen und Wegerecht auch mittel- bis langfristig wenig bis nichts ändern wird, und dass dies vom Ministerium auch genauso gewollt ist.

Ähnlich zur Tragödie verkommen die Regelungen zum öffentlichen Personennahverkehr. Zugestanden wird seitens des Ministeriums eigentlich nur das, was er nicht mehr ablehnen kann, ohne sich im Hinblick auf die oben genannte umfassende Norm der Barrierefreiheit völlig lächerlich zu machen.
Zur Anschaffung eines barrierefreien Wagenparks sind die Verkehrsunternehmen, die ÖPNV anbieten, inzwischen bereits durch eine Busrichtlinie der EU verpflichtet. Es hätte sich folglich für Neubauten und wesentliche Umbauten in der Infrastruktur jetzt auch schlecht gemacht, wenn der für behinderte Menschen regelmäßig existenznotwendige öffentliche Nahverkehr nicht wenigstens für die Zukunft barrierefrei umgestaltet werden müsste.
Ähnlich wie beim Thema Bauen sind auch beim Thema Verkehr die den Bestand schützenden Regelungen die Crux. Da das Gesetz hier ohne irgendeine die Verkehrsträger bindende Frist arbeitet, die Umrüstung zudem auch noch unter das in diesem Gesetz besonders beliebte Fallbeil des «technisch und wirtschaftlich» Machbaren fällt, darf man auch hier getrost vermuten, dass sich viele der Verkehrsträger große Mühe geben werden, jede Form von Barrierefreiheit bei bestehenden Anlagen und Fahrzeugen dann eben als technisch oder wirtschaftlich unmöglich abzutun.
Eine andere nicht hinnehmbare Möglichkeit in diesem Zusammenhang stellt die Herstellung von Barrierefreiheit mit unzureichenden Billigstlösungen dar, die Barrierefreiheit eben gerade so gestaltet, dass sie von behinderten Menschen nicht selbstständig und ohne fremde Hilfe wahrgenommen werden kann.

Das Recht der Verwendung der Deutschen Gebärdensprache und anderer Kommunikationsformen, die Gestaltung von Bescheiden und Vordrucken sowie die des Internets und grafischer Programmoberflächen (also vorwiegend CD-ROM´s) sind weitgehend nach dem BGG ausgestaltet. Dabei darf man auch bei den Internet-Darbietungen Bayerns gespannt sein, wie die «... finanziellen, wirtschaftlichen und verwaltungsorganisatorischen Möglichkeiten» des Gesetzes auf die Verordnung durchschlagen werden, die hier wie beim Recht auf Gebärdensprache als auch der Gestaltung von Bescheiden nach Inkrafttreten des Gesetzes noch zu erlassen sein werden.
Immerhin hat das StMAS in seinem Entwurf hier – wie bereits der Bund beim BGG – bei der Gestaltung von Bescheiden und Vordrucken nicht ausschließlich an blinde und sehbehinderte Menschen gedacht, was mittelfristig dazu führen dürfte, dass Bescheide und Vordrucke auch in einer einfacheren, jedem – also auch lernbehinderten – Menschen verständlichen Sprache verfasst werden.
Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass der Freistaat die Ausbildung von Gebärdensprachdolmetschern für die Zukunft staatlich regeln will. Das ist grundsätzlich begrüßenswert, wird doch gerade auf diesem Gebiet, wo es bislang noch keine allgemeinverbindlichen staatlichen Ausbildungsordnungen gibt, teilweise immenser Pfusch getrieben, was sich gerade für die fähigen Gebärdensprachdolmetscher auch finanziell negativ auswirken kann.

Ausschließlich proklamatorisch wirkt hingegen die angestrebte Barrierefreiheit bei den Medien, allzumal sich dies realistischerweise nur auf das Medium Fernsehen beziehen kann. Hier wäre es ratsam gewesen, zumindest die Möglichkeiten der Schaffung von Barrierefreiheit – also Untertitelung und Audiodeskription – zu benennen und nicht nur damit zu arbeiten, dass – wiederum – im Rahmen der «technischen, finanziellen, wirtschaftlichen und verwaltungsorganisatorischen Möglichkeiten» die aktive Förderung und die Maßnahmenplanung des Gesetzes beachtet werden sollen. D.h., sie können durch die Aufgabenträger, die den Rundfunk organisieren, zwar beachtet werden, eine gesetzlich definierte Verpflichtung besteht hierzu jedoch nach dem bayLGGuÄndG offensichtlich noch nicht einmal für den öffentlich-rechtlich organisierten Bayerischen Rundfunk. Es handelt sich bei diesem doch lediglich um eine – durch das Gesetz nicht automatisch mit umfasste – Anstalt des öffentlichen Rechts. Hier hat das Ministerium bereits in Art. 9 Abs. 1 Satz 2 bayBGG «den Schwanz eingekniffen», als er sämtliche der Landesverwaltung nicht direkt zugehörigen Vereinigungen, Einrichtungen und Unternehmen lediglich auferlegt hat, dass darauf hingewirkt werden solle, dass die Zielsetzung des Benachteiligungsverbotes zu beachten sei. Betroffen sind hiervon also selbst solche Vereinigungen, Einrichtungen und Unternehmen, an denen der Freistaat Bayern – wie am Beispiel des Bayerischen Rundfunks sehr schön deutlich wird – sämtliche Anteile hält. Damit verkommt das Benachteiligungsverbot für diesen Bereich jedoch auch zu einer juristischen Leerfloskel, die die Aufgabenträger zu nichts verpflichtet und ihnen sämtliche Möglichkeiten der Gestaltung, wie sie Barrierefreiheit herstellen und dem Benachteiligungsverbot folgen wollen, offen hält. Dies verschweigt nicht einmal die Begründung des Gesetzes, wenn sie verschämt nur von einer «Hinwirkungspflicht» der Aufgabenträger spricht.


Im Hinblick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten durch Verbände bzw. das Verbandsklagerecht erfahren die bayerischen Behindertenverbände im Vergleich mit dem Musterentwurf eines Landesgleichstellungsgesetzes für behinderte Menschen des FbJJ eine Einschränkung. So ist zu kritisieren, dass lediglich diejenigen Landesverbände von Behindertenorganisationen zugelassen werden sollen, deren Bundesverbände bereits nach dem BGG verbandsklage- und zu Zielvereinbarungsverhandlungen berechtigt sind. Hier wäre eher auf die landesspezifischen Eigenheiten einzugehen gewesen. Das schon deshalb, da es eine relativ restriktive Benennung von bundesweit verbandsklageberechtigten Verbänden nach dem BGG geben soll.
Auch das Moment der «allgemeinen Bedeutung», die einem Fall dann zukommen muss, wenn ein Verband das Verbandsklagerecht erheben will, stand bereits bei der Verabschiedung des BGG in heftiger Diskussion. Hierdurch wird die Möglichkeit der Erhebung einer Verbandsklage auf den unbestimmten Rechtsbegriff der besonderen Bedeutung, der einer Fallgestaltung zukommen muss, eingeschränkt, d.h., ein Verband kann nur noch dann klagen, wenn dem Fall eine besondere, über das allgemeine Maß hinausreichende Bedeutung zukommt.
Wird nämlich in Abgrenzung zur Verbandsklage mit dem Vertretungsrecht der Verbände lediglich ein einzelner Fall aufgegriffen, liegt es nach der vorliegenden Definition im Wesen der Natur der Verbandsklage, dass es sich hierbei um eine Mehrheit von Fällen handeln muss, in denen Barrierefreiheit verweigert und behinderte Menschen benachteiligt worden sind. Weshalb es dann auch noch auf die besondere Bedeutung dieser Benachteiligung ankommen muss, ab der erst die Verbandsklage zulässig sein darf, erschließt sich nicht und lässt die Vermutung entstehen, hier solle bereits von Gesetzes wegen der Verbandsklage ein möglichst weitgehender Riegel vorgeschoben werden.

Weitgehend – zumindest in der Konsequenz des Gesetzes - gelungen ist hingegen die Regelung über das Amt des oder der Behindertenbeauftragten. Gelungen aber auch nur deshalb, weil der bayerische Gesetzentwurf auf die Schaffung eines bayerischen Landesbehindertenrates verzichtet hat und dem oder der Beauftragten die Verpflichtung auferlegt, die Behindertenverbände in geeigneter Weise in die Arbeit des oder der Beauftragten einzubinden.

Der Verzicht auf einen Landesbehindertenbeirat ist jedoch definitiv nicht im Sinne der Behindertenselbsthilfe, bildet er doch – zusammen mit dem Beauftragten – das notwendige Zwischenglied zwischen Staatsregierung und Behindertenselbsthilfe. Zudem wird der oder die Beauftragte zwar vom Ministerpräsidenten ernannt, die Stelle sodann aber nicht unmittelbar bei diesem Amt als Querschnittsaufgabe angesiedelt, sondern das Amt des oder Beauftragten weiterhin beim StMAS belassen. Das ist inkonsequent und in sich unlogisch, allzumal es dem Gesetz besser angestanden hätte, auf Landesebene einen Behindertenbeirat einzurichten, der sich in seiner Aufgabenstellung mit dem oder der Beauftragten ins Benehmen zu setzen gehabt hätte. Dies hätte eine rein tatsächliche Aufwertung der Behindertenselbsthilfeverbände bedeutet, die nach dem hier vorgelegten Entwurf weiterhin in die Rolle eines Nachtschattengewächses gedrängt werden, wenn sie von dem oder der Beauftragten nicht intensiv in die Arbeit eingebunden werden. Das heißt aber, dass die Funktion der Verbände sowohl vom «good-will» des Ministeriums als auch von der oder dem Beauftragten besonders abhängig sind. Dies ist der falsche Weg, um kooperative Möglichkeiten der Einbindung von Selbsthilfeorganisationen zu schaffen, indem man sie im gesamten Gesetzgebungswerk letzten Endes doch nur wieder «an den Katzentisch» setzt und die Teilhabe auf die großen Verbände der Behindertenhilfe reduziert.

Immerhin hat sich das Ministerium dazu aufgerafft, die Kommunen und sonstigen Gebietskörperschaften sowie die Bezirke dazu aufzufordern, auch auf ihrer Ebene das Amt des oder der Behindertenbeauftragten einzurichten. Mehr ist hierbei aufgrund der autonomen Funktion von Gebietskörperschaften rechtlich allerdings auch nicht zulässig.


Zur Barrierefreiheit auch für körperlich eingeschränkte Menschen bei Wahlen zum Landtag sowie zu den Gemeinden und Landkreisen hat das Ministerium augenscheinlich «vergessen», hierzu auch nur eine einzige Anmerkung zu machen. So wird es im Freistaat Bayern körperbehinderten Menschen auch weiterhin vielfach unmöglich gemacht werden, von ihrem selbstverständlichen staatsbürgerlichen Recht, an einer Wahl in gleicher Weise wie jeder andere Wahlberechtigte teilzunehmen, Gebrauch zu machen.

Dass das Thema Bildung und Barrierefreiheit bzw. Benachteiligungsverbot in Bayern ein brandheißes Eisen ist, sieht man vor allem an denjenigen Regelungen, die im bayBGGuÄndG nicht vorkommen. Die bayerische Staatsregierung hat hierzu verlauten lassen, dass sie diese Felder – also Kindergärten, Horte und Schulen – in gesonderten Gesetzgebungsverfahren zu regeln gedenkt. Das ist im Sinne einer einheitlichen Regelung des Vorrangs der Integration vor Separation sämtlicher behinderter Kinder und Jugendlicher (mit Einschränkungen für Hörschädigungen) in keiner Weise tolerabel. Die Integration von Kindern zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt verhindert soziale, kulturelle und teilhabebedingte Defizite bei Kindern und Jugendlichen, die der Gesellschaft eine bislang überhaupt noch nicht quantifizierbare finanzielle Mehrbelastung im späteren Leben von behinderten Menschen erspart. Zudem ist es unwürdig, greift regelmäßig in weitgehend unzulässiger Weise in das grundgesetzlich garantierte Elternrecht ein und stellt bei separierenden Einrichtungen bereits für sich genommen einen auch noch nicht bestimmten finanziellen Mehrbedarf dar, behinderte Kinder und Jugendliche in Sondereinrichtungen unterzubringen.

Auch die Regelungen zum Hochschulrecht sind eine einzige Enttäuschung. Hier ist der Freistaat Bayern aufgrund der rahmenrichtlinienartigen Gesetzgebungsstruktur des durch das BGG veränderten Hochschulrahmengesetzes (HRG) verpflichtet gewesen, Barrierefreiheit und Benachteiligungsverbot im Hochschulbereich auch für Bayern verbindlich vorzuschreiben. Bereits die Änderung des Art. 2 Abs. 4 Satz 3 des bayerischen Hochschulgesetzes (bayHSchG) verpflichtet die Hochschulen noch nicht einmal, Barrierefreiheit und das Benachteiligungsverbot in gleicher Weise durchzusetzen, wie es zumindest für Teile der Landesverwaltung verpflichtend ist. Das Bestreiten eines Studiums «... möglichst ohne fremde Hilfe» ist dann doch arg schwachbrüstig. Gewünscht hätte man sich hier z.B. eine Formulierung, dass die Angebote der Hochschulen barrierefrei zu gestalten sind. Dass sich die bayerische Staatsregierung weiterhin noch nicht einmal bereit gefunden hat, für den Hochschulbereich zwingend Behindertenbeauftragte vorzuschreiben, zeigt auch in diesem Bereich überdeutlich das intensive Lobbying der Interessenverbände. Diese haben das Gesetz bereits, ehe es die parlamentarischen Hürden auch nur anspringen konnte, so abgeschliffen, dass inhaltlich nahezu nichts mehr übrig bleibt.

Nicht als Löwe gestartet

Fazir: Man muss dem Entwurf einräumen, dass er noch nicht einmal als Löwe gestartet und als Papiertiger gelandet sei; er war beim Start bereits nicht mehr als ein Papierflieger.
Man kann der bayerischen Staatsregierung nur dringend empfehlen, diesen Gesetzentwurf umfassend nachzubessern und muss die Behinderten(selbst-)hilfe in Bayern geradezu auffordern, gegen diesen Gesetzentwurf in entschiedene Opposition zu treten.
Last not least ist es schon bezeichnend, dass der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber zwischenzeitlich hat sogar selbst Bedenken an diesem Entwurf laut werden lassen. Deshalb hilfreich die Frage: Wie wenig Selbstbestimmung, wie viel Benachteiligung und wie viele Barrieren für behinderte Menschen dürfen es denn eigentlich noch sein, Herr Stoiber?

Alexander Drewes
ist Mitglied und Rechtsberater in NETZWERK ARTIKEL 3 e.V.
selbst zu erreichen per Fax (0561/2861020-1) oder mail 
(Alexander.Drewes@freenet.de)


Ihr E-Mail-Kontakt zur Geschäftsstelle:
hgh@netzwerk-artikel-3.de
 nach oben zurück 
  Inhalt  
 Drucken 
 Fenster schließen 

Page maintained by
Rolf Barthel   am 12.12.02

Diese Seite wurde aktualisiert am  Donnerstag, 01.01.1970, 01:00