Kassel (kobinet) «So saft- und kraftlos, wie die Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN zuletzt auf der Bundesebene regiert hat, genau so unglücklich, weitgehend nichts sagend und größtenteils enttäuschend sind den Koalitionären auch die Formulierungen im Koalitionsvertrag zur Behindertenpolitik geraten», erklärte Alexander Drewes, Rechtsreferent des NETZWERK ARTIKEL 3 in Kassel. So sei der von der Bundesregierung großmundig verkündete Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik nicht nur in der letzten Legislaturperiode auf halbem Wege stehen geblieben, diese Halbherzigkeit setze sich vielmehr nun auch im neuen Koalitionsvertrag fort.
«Dass man die Umsetzung eines selbst beschlossenen Gesetzes - nämlich des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) - auch von Seiten der Regierung fördern will, ist selbstverständlich und muss nicht extra in einem Koalitionsvertrag aufgenommen werden. Demgegenüber ist von der völlig veralteten Definition des Behindertenbegriffs, dessen Fortentwicklung vom Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Karl-Hermann Haack, in der Debatte zur 2. und 3. Lesung des BGG zugesichert wurde, nichts mehr zu lesen. Genauso wenig findet sich im Koalitionsvertrag darüber, wie die Gleichstellung behinderter Menschen gefördert werden soll. Zu Finanzierungsfragen, die notwendigerweise im Bereich der Schulung zu den Gesetzgebungswerken SGB IX und BGG auftauchen werden, ist zudem kein einziges Wort im Koalitionsvertrag zu lesen», resümiert Drewes das Vertragswerk.
Das bereits für die letzte Legislatur versprochene zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz (ZAG) werde nun als der Weisheit letzter Schluss verkauft. Dass ein Entwurf des Bundesjustizministeriums in diesem Jahr nicht mehr Gesetz werden konnte, habe vor allem daran gelegen, dass die Koalition den Konflikt mit den Kirchen und Teilen der Wirtschaft gescheut hatte. «Bemerkenswert an den Aussagen des Koalitionsvertrages ist, dass er sich hauptsächlich auf mehrere EU-Richtlinien stützt, die die Bundesrepublik bis zur Mitte des nächsten Jahres umsetzen muss. Da in diesen Richtlinien behinderte Menschen nicht erwähnt werden, wird es eine spannende Frage bleiben, ob wir im ZAG Berücksichtigung finden oder die Koalition auch hier wieder vor dem Vorrang ökonomischer Interessen ´den Schwanz einkneift´». so Drewes.
Beim Passus zur Eingliederungshilfe sei nach Ansicht des NETZWERK ARTIKEL 3 in keinster Weise von einem von den Verbänden geforderten umfassenden Teilhabesicherungs- und Assistenzgesetz die Rede, sondern lediglich davon, dass die Regelung der Eingliederungshilfe lediglich «überprüft» werden solle. «Ein bloßer Prüfauftrag verpflichtet aber in keiner Weise dazu, auch positiv etwas regeln zu wollen.
Ein einziger wirklicher Lichtblick tut sich im Rahmen der Sexualstrafgesetzgebung auf. Hier soll endlich mit dem diskriminierenden Ansatz, dass an so genannten widerstandsunfähigen Menschen begangene Sexualdelikte mit einer geringeren Strafandrohung versehen sind als solche gegenüber «widerstandsfähigen» Menschen nach Jahrzehnten des Diskurses auch auf diesem Gebiet endlich fallen. So stellen die behindertenpolitischen Umsetzungen im Koalitionsvertrag alles in allem eine einzige Enttäuschung dar. Umso wichtiger ist es, dass wir uns in der kommenden Legislaturperiode verstärkt in die Politik einmischen.
Es gilt nun also die Ärmel hochzukrempeln und auch gegenüber einer angeblich bürgerschaftlich orientierten Regierung sehr deutlich anzumahnen, dass behinderte Menschen - auch, wenn es Geld kostet - nunmehr auch im Teilhabe- und Assistenzbereich die gleichen Rechte einfordern, wie sie jedem nicht behinderten Menschen seit jeher zustehen», so Drewes.
omp