Verordnung zur Ausführung des Thüringer Gesetzes zur Gleichstellung und Verbesserung der Integration von Menschen mit Behinderungen (ThürGIGAVO)

Inhaltsübersicht

Erster Abschnitt Verwendung von Gebärdensprache und anderen Kommunikationshilfen im Verwaltungsverfahren und in der Kommunikation mit der Schule

§ 1 Anwendungsbereich
§ 2 Voraussetzungen und Umfang des Anspruchs
§ 3 Kommunikationshilfen
§ 4 Art und Weise der Bereitstellung von geeigneten Kommunikationshilfen
§ 5 Grundsätze für eine angemessene Vergütung oder Erstattung

Zweiter Abschnitt Zugänglichmachung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Menschen im Verwaltungsverfahren

§ 6 Geltung
§ 7 Gegenstand der Zugänglichmachung
§ 8 Formen der Zugänglichmachung
§ 9 Bekanntgabe
§ 10 Umfang des Anspruchs
§ 11 Kostentragung

Dritter Abschnitt Schaffung barrierefreier Informationstechnik

§ 12 Regelungsbereich
§ 13 Einzubeziehende Gruppen von behinderten Menschen
§ 14 Anzuwendende Standards

Vierter Abschnitt Übergangs- und Schlussbestimmungen

§ 15 Umsetzungsfristen
§ 16 Gleichstellungsbestimmung
§ 17 Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Aufgrund des § 11 Abs. 6, des § 13 Abs. 2 und des § 14 Abs. 2 des Thüringer Gesetzes zur Gleichstellung und Verbesserung der Integration von Menschen mit Behinderungen (ThürGIG) vom 16. Dezember 2005 (GVBl. S. 383) verordnet die Landesregierung:

Erster Abschnitt Verwendung von Gebärdensprache und anderen Kommunikationshilfen im Verwaltungsverfahren und in der Kommunikation mit der Schule

§ 1 Anwendungsbereich

(1) Dieser Abschnitt gilt für alle natürlichen Personen, die als Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens wegen einer Hör- oder Sprachbehinderung nach Maßgabe des § 3 ThürGIG zur Wahrnehmung eigener Rechte für die mündliche Kommunikation im Verwaltungsverfahren einen Anspruch auf Bereitstellung eines Dolmetschers für die Deutsche Gebärdensprache oder für lautsprachbegleitende Gebärden (Gebärdendolmetscher) oder anderer geeigneter Kommunikationshilfen haben, sowie für hör- oder sprachbehinderte Eltern nicht hör- oder sprachbehinderter Kinder bei der Kommunikation mit Schulen (Berechtigte).
(2) Die Berechtigten können ihren Anspruch nach § 11 Abs. 3 Satz 1 ThürGIG gegen die in § 6 Abs. 1 ThürGIG genannten Träger der öffentlichen Verwaltung geltend machen. Der Anspruch der Berechtigten auf Erstattung der notwendigen Aufwendungen nach § 11 Abs. 5 ThürGIG besteht gegenüber dem jeweils zuständigen Schulamt.
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§ 2 Voraussetzung und Umfang des Anspruchs

(1) Der Anspruch auf Bereitstellung eines Gebärdensprachdolmetschers oder einer anderen geeigneten Kommunikationshilfe besteht, soweit eine solche Kommunikationshilfe zur Wahrnehmung eigener Rechte in einem Verwaltungsverfahren oder zur Kommunikation der Berechtigten mit der Schule erforderlich ist, in dem dafür notwendigen Umfang. Der notwendige Umfang bestimmt sich insbesondere nach dem individuellen Bedarf der Berechtigten.
(2) Berechtigte haben nach Maßgabe des Absatzes 1 ein Wahlrecht hinsichtlich der zu benutzenden Kommunikationshilfe. Dieses umfasst auch das Recht, einen Gebärdensprachdolmetscher oder eine andere geeignete Kommunikationshilfe selbst bereitzustellen. Die Berechtigten haben dem Träger der öffentlichen Verwaltung rechtzeitig mitzuteilen, inwieweit sie von ihrem Wahlrecht nach den Sätzen 1 und 2 Gebrauch machen. Der Träger der öffentlichen Verwaltung kann den ausgewählten Gebärdensprachdolmetscher oder die ausgewählte andere Kommunikationshilfe zurückweisen, wenn sie ungeeignet ist oder in sonstiger Weise den Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht entspricht. Die Hör- oder Sprachbehinderung sowie die Wahlentscheidung nach den Sätzen 1 und 2 sind aktenkundig zu machen und im weiteren Verwaltungsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen.
(3) Erhält der Träger der öffentlichen Verwaltung Kenntnis von der Hör- oder Sprachbehinderung eines Berechtigten im Verwaltungsverfahren, hat er diesen auf sein Recht auf barrierefreie Kommunikation und auf das Wahlrecht nach Absatz 2 Satz 1 und 2 hinzuweisen.
(4) Von der Hinzuziehung von Kommunikationshilfen nach Absatz 2 Satz 1 und 2 kann abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint oder wenn durch die Hinzuziehung von Kommunikationshilfen die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde.
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§ 3 Kommunikationshilfen

(1) Die Kommunikation mittels eines Gebärdensprachdolmetschers, eines Gebärdensprachkursleiters oder einer anderen Kommunikationshilfe ist als geeignete Kommunikationsform anzusehen, wenn sie im konkreten Fall eine für die Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren oder eine für die Kommunikation mit der Schule erforderliche Verständigung sicherstellt.
(2) Als andere Kommunikationshilfen kommen
1. Kommunikationshelfer, insbesondere
a) Schriftmittler,
b) Simultanschriftdolmetscher,
c) Oraldolmetscher oder
d) Kommunikationsassistenten;
2. Kommunikationsmethoden, insbesondere
a) Lormen und taktil wahrnehmbare Gebärden oder
b) gestützte Kommunikation für Menschen mit zusätzlicher autistischer Störung;
c) relaisgestützte Kommunikation;
3. Kommunikationsmittel, insbesondere
a) akustisch-technische Hilfen oder
b) grafische Symbolsysteme
in Betracht.
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§ 4 Art und Weise der Bereitstellung von geeigneten Kommunikationshilfen

Gebärdensprachdolmetscher und andere geeignete Kommunikationshilfen werden vom Träger der öffentlichen Verwaltung bereitgestellt, es sei denn, die Berechtigten machen von ihrem Wahlrecht nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Gebrauch.
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§ 5 Grundsätze für eine angemessene Vergütung oder Erstattung

(1) Die Träger der öffentlichen Verwaltung vergüten Gebärdensprachdolmetscher und Kommunikationshelfer unter inhaltlicher Z ugrundelegung der von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen, dem Deutschen Gehörlosenbund und dem Bundesverband der Gebärdensprachdolmetscher Deutschlands herausgegebenen Empfehlungen zur Bezuschussung von Kosten für Gebärdensprachdolmetscher - Leistungen (Anlage - Bezuschussung von Kosten für Gebärdensprachdolmetscher - Leistungen im Rahmen des ThürGIG). Für den Einsatz sonstiger Kommunikationshilfen tragen die Träger der öffentlichen Verwaltung die entstandenen Aufwendungen.
(2) Die Träger der öffentlichen Verwaltung vergüten die Leistungen unmittelbar denjenigen, die sie erbracht haben. Stellen Berechtigte den Gebärdensprachdolmetscher oder die sonstige Kommunikationshilfe selbst bereit, tragen die Träger der öffentlichen Verwaltung die Kosten nach Absatz 1 nur, soweit sie nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 erforderlich sind; Satz 1 gilt entsprechend; die Berechtigten dürfen nicht auf eine Erstattung verwiesen werden, es sei denn, sie wünschen dies oder es liegt ein sonstiger besonderer Grund vor.
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Zweiter Abschnitt Zugänglichmachung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Menschen im Verwaltungsverfahren

§ 6 Geltung

(1) Dieser Abschnitt gilt für alle natürlichen Personen, die als Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens wegen Blindheit oder einer anderen Sehbehinderung nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 Satz 2 ThürGIG zur Wahrnehmung eigener Rechte einen Anspruch darauf haben, dass ihnen Dokumente in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden (Berechtigte).
(2) Die Berechtigten können ihren Anspruch aus § 13 Abs. 1 Satz 2 ThürGIG gegenüber den Trägern der öffentlichen Verwaltung im Sinne des § 6 Abs. 1 ThürGIG geltend machen.
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§ 7 Gegenstand der Zugänglichmachung

Der Anspruch nach § 13 Abs. 1 Satz 2 ThürGIG umfasst Bescheide, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke (Dokumente) einschließlich der Anlagen, auf die in den Dokumenten Bezug genommen wird.
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§ 8 Formen der Zugänglichmachung

(1) Die Dokumente können den Berechtigten schriftlich, elektronisch, akustisch, mündlich oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht werden.
(2) Werden Dokumente in schriftlicher Form zugänglich gemacht, erfolgt dies in Blindenschrift oder in Großdruck. Bei Großdruck sind ein Schriftbild, eine Kontrastierung und eine Papierqualität zu wählen, die die individuelle Wahrnehmungsfähigkeit der Berechtigten ausreichend berücksichtigt.
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§ 9 Bekanntgabe

Dokumente sollen dem Berechtigten gleichzeitig mit der Bekanntgabe auch in der für ihn wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden. Vorschriften über die im Verwaltungsverfahren maßgeblichen Regelungen zu Fristen, Terminen, Form, Bekanntgabe und Zustellung von Dokumenten bleiben von dieser Verordnung unberührt.
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§ 10 Umfang des Anspruchs

(1) Die Entscheidung, in welcher der in § 8 Abs. 1 genannten Formen die Dokumente zugänglich gemacht werden sollen, trifft der Träger der öffentlichen Verwaltung in Abstimmung mit dem Berechtigten. Der Berechtigte teilt hierzu dem Träger der öffentlichen Verwaltung rechtzeitig die Art der Behinderung und die aus seiner Sicht geeignete Form der Zugänglichmachung mit. Wünschen von Berechtigten, die sich auf die Form der Zugänglichmachung beziehen, soll entsprochen werden, soweit sie nicht unverhältnismäßige Mehrkosten verursachen, nur mit erheblichem technischem oder verwaltungsorganisatorischem Mehraufwand realisierbar sind oder die Zugänglichmachung dadurch unangemessen verzögert wird.
(2) Erhält der Träger der öffentlichen Verwaltung Kenntnis von der Blindheit oder einer anderen Sehbehinderung eines Berechtigten im Verwaltungsverfahren, hat er ihn auf seinen Anspruch nach § 6 Abs. 1 hinzuweisen.
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§ 11 Kostentragung

(1) Die Dokumente können dem Berechtigten durch den Träger der öffentlichen Verwaltung selbst, durch andere Träger der öffentlichen Verwaltung oder durch beauftragte Dritte in der für ihn wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden.
(2) Die Vorschriften über die Kosten (Gebühren und Auslagen) öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit bleiben unberührt. Auslagen für besondere Aufwendungen, die dadurch entstehen, dass dem Berechtigten Dokumente in einer für ihn wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden, werden nicht erhoben.
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Dritter Abschnitt Schaffung barrierefreier Informationstechnik

§ 12 Regelungsbereich

Dieser Abschnitt gilt für Internetangebote sowie alle Anwendungen des eGovernment der in § 6 Abs. 1 ThürGIG genannten Träger der öffentlichen Verwaltung sowie für die von ihnen zur Verfügung gestellten Programmoberflächen im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung. Internetangebote, die aufgrund bundesrechtlicher Regelungen durch die Träger der öffentlichen Verwaltung vorzuhalten sind, werden von der Verordnung nicht erfasst.
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§ 13 Einzubeziehende Gruppen behinderter Menschen

Die Gestaltung von Angeboten der Informationstechnik (§ 12 Satz 1) nach dieser Verordnung ist dazu bestimmt, behinderten Menschen im Sinne des § 3 ThürGIG , denen ohne die Erfüllung zusätzlicher Bedingungen die Nutzung der Informationstechnik nur eingeschränkt möglich ist, den Zugang zu eröffnen.
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§ 14 Anzuwendende Standards

Angebote der Informationstechnik (§ 12 Satz 1) gelten als barrierefrei, wenn sie den Standards der Priorität I und für zentrale Einstiegs- und Navigationsseiten zusätzlich den Standards der Priorität II der Anlage zur Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung vom 17. Juli 2002 (BGBl. I S. 2654) in der jeweils geltenden Fassung entsprechen.
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Vierter Abschnitt Übergangs- und Schlussbestimmungen

§ 15 Umsetzungsfristen

(1) Die in § 12 Satz 1 genannten Angebote der Informationstechnik oder Teile davon, die nach mehr als drei Monaten nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung (Stichtag) neu gestaltet oder in wesentlichen Bestandteilen oder größerem Umfang verändert oder angepasst freigeschaltet werden, sind nach § 14 zu erstellen.
(2) Vor dem Stichtag veröffentlichte Angebote sind bis zum Ablauf des 18. auf die Verkündung folgenden Kalendermonats barrierefrei nach § 14 zu gestalten, wenn sie sich speziell an Menschen mit Behinderungen im Sinne des § 3 ThürGIG richten. Alle übrigen in § 12 Satz 1 genannten Angebote der Informationstechnik, die vor dem Stichtag dieser Verordnung veröffentlicht wurden, sind innerhalb von vier Jahren, gerechnet ab dem ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Kalendermonats, barrierefrei nach § 14 zu gestalten.
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§ 16 Gleichstellungsbestimmung

Status- und Funktionsbezeichnungen in dieser Verordnung gelten sowohl in männlicher als auch in weiblicher Form.
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§ 17 Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Diese Verordnung tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft und mit Ablauf des 31. Mai 2012 außer Kraft.
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