Einleitung zum Betreuungsrecht
(Ulrich Hellmann)

I. Entwicklung und Einordnung

Das Selbstbestimmungsrecht ist wesentlicher Bestandteil der durch das Grundgesetz geschützten Menschenwürde und der Handlungsfreiheit. Es steht behinderten Menschen gleichberechtigt mit allen anderen zu. Damit ist der Staat verpflichtet, das Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen zu achten und zu schützen (vgl. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG). Dieses Schutzgebot bildet die verfassungsrechtliche Grundlage für die Betreuung als "staatliche Rechtsfürsorge", deren wesentliche Aufgabe es ist, die Teilhabe am Rechtsleben für volljährige behinderte Menschen zu gewährleisten und sie davor zu schützen, dass sie sich aufgrund ihrer Beeinträchtigung selbst schädigen. Das Betreuungsrecht gilt in Deutschland seit dem 1. Januar 1992. Bis dahin gab es die "Gebrechlichkeitspflegschaft" und die "Vormundschaft" - letztere setzte die vorherige "Entmündigung" in einem gesonderten Gerichtsverfahren voraus -, die seit ihrer Kodifizierung im Bürgerlichen Gesetzbuch im Jahr 1900 nahezu unverändert Gültigkeit hatten und von einem sehr paternalistischen, die Fremdbestimmung über hilfebedürftige Volljährige betonenden Charakter geprägt waren.
Demgegenüber ist das Betreuungsrecht darauf ausgerichtet, die Möglichkeit zur Selbstbestimmung so weit wie möglich zu achten und zu fördern. Es steht weitgehend in Einklang mit der 1999 vom Europarat für seine Mitgliedsstaaten beschlossenen Empfehlung R (99) 4 über Prinzipien zur Ausgestaltung der rechtlichen Betreuung von Erwachsenen. Als wegweisend für die weitere Entwicklung der rechtlichen Unterstützung von Menschen mit Behinderung sollte die am 28. Mai 2008 in Kraft getretene Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte behinderter Menschen wirken, deren Artikel 12 klarstellt, dass behinderte Menschen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen. Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um behinderten Menschen den Zugang zu der Unterstützung zu verschaffen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit benötigen. Mit der Ratifizierung wird die VN-Konvention für Deutschland verbindliches Recht. Damit wird das Prinzip der Hilfe zur Selbstbestimmung betont, die Anordnung einer gesetzlichen Vertretung findet keine Erwähnung. Die Regelungen des Betreuungsrechts und deren Implementierung werden auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 12 der Konvention zu prüfen sein.

II. Wesentlicher Inhalt

Das Betreuungsrecht ist kein eigenständiges Gesetzbuch. Seine materiell-rechtlichen Vorschriften sind im 3. Abschnitt von Buch 4. (Familienrecht) als Titel 2. Rechtliche Betreuung mit den §§ 1896 - 1908 k in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eingeordnet. Für Volljährige, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können (vgl. § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB), bestellt das Vormundschaftsgericht auf deren Antrag oder von Amts wegen einen Betreuer. Für Menschen mit einer körperlichen Behinderung darf ein Betreuer nur auf dessen Antrag bestellt werden, es sei denn, dieser kann seinen Willen nicht kundtun (§ 1896 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Das Betreuungsrecht ist geprägt vom Erforderlichkeitsgrundsatz des § 1896 Abs. 2 BGB, demzufolge eine Betreuung nicht erforderlich ist, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten oder durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Bei der Auswahl eines geeigneten Betreuers ist vorrangig auf die Wünsche des Volljährigen abzustellen, ansonsten ist auf dessen verwandtschaftliche und sonstige persönliche Bindungen Rücksicht zu nehmen (§ 1897 Abs. 4 und 5 BGB).
Der Betreuer ist in seinem vom Gericht festgelegten Aufgabenkreis zur gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung des betreuten Menschen berechtigt (§ 1902 BGB). Eine Kernvorschrift des Betreuungsrechts ist § 1901 BGB, der den Umfang der Betreuung und die Pflichten des Betreuers regelt. Neben der Klarstellung, dass die Betreuung alle Tätigkeiten umfasst, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen, postuliert die Vorschrift das Wohl des Betreuten als obersten Maßstab allen Betreuerhandelns. Der Betreuer hat die selbstbestimmte Lebensgestaltung zu fördern (§ 1901 Abs. 2 BGB). Das Betreuungsrecht sieht keine Prüfung der Geschäftsfähigkeit des behinderten Menschen vor, deshalb bleibt dieser grundsätzlich auch in den Aufgabenkreisen des Betreuers handlungsfähig, soweit er wirksame Erklärungen abgeben kann. Im Innenverhältnis zwischen Betreuer und Betreutem haben die Wünsche des betreuten Menschen Vorrang und sind vom Betreuer zu beachten, soweit dies nicht dem Wohl des Betreuten zuwiderlaufen würde (§ 1901 Abs. 3 BGB). Der Erforderlichkeitsgrundsatz des Betreuungsrechts gilt demzufolge nicht nur hinsichtlich der Berechtigung und des Umfanges der gerichtlichen Anordnung, sondern auch für die konkrete Ausführung durch den Betreuer, dessen Befugnis, stellvertretende Entscheidungen zu treffen, gegenüber seinen Pflichten aus § 1901 BGB nachrangig ist.
Um der Gefahr von Nachteilen entgegen zu wirken, die sich der Betreute durch eigene Handlungen zufügen kann, darf das Gericht anordnen, dass Willenserklärungen des Betreuten, die auch vom Aufgabenkreis des Betreuers umfasst sind, zu ihrer Wirksamkeit dessen Einwilligung bedürfen (Einwilligungsvorbehalt, § 1903 BGB). Zulässig ist dies jedoch nur, soweit es zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen erforderlich ist. Die Maßnahme ist deshalb für jeden Aufgabenkreis sorgfältig zu prüfen (BayObLG FamRZ 1998, S. 454) und ggfs. auf bestimmte Willenserklärungen zu beschränken (BayObLG BtPrax 1994, S. 30).
Zum besonderen Schutz des Betreuten bei ärztlichen Maßnahmen sieht § 1904 BGB vor, dass die Einwilligung des Betreuers der gerichtlichen Genehmigung bedarf, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Die gerichtliche Genehmigungspflicht gilt entsprechend, wenn eine solche Einwilligung durch einen von dem Volljährigen Bevollmächtigten erklärt wird (§ 1904 Abs. 2). Mit zusätzlichen, wesentlich strengeren Voraussetzungen ist in § 1905 BGB die Zulässigkeit der Einwilligung eines stets für diese Aufgabe gesondert zu bestellenden Betreuers (§1899 Abs. 2 BGB) in die Sterilisation einer einwilligungsunfähigen Volljährigen geregelt.
Die Vorschrift des § 1906 BGB regelt die Voraussetzungen für die mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung eines Volljährigen durch einen Betreuer oder einen Bevollmächtigten. Nach § 1906 Abs. 4 BGB bedarf auch eine freiheitsentziehende Maßnahme (z. B. Fixierung, Einschließen) in einer offenen Einrichtung der gerichtlichen Genehmigung, soweit diese regelmäßig oder über einen längeren Zeitraum praktiziert wird.

III. Durchsetzbarkeit

Die Anordnung einer rechtlichen Betreuung erfolgt im Regelfall von Amts wegen auf Anregung Dritter, die dem Gericht Kenntnis über die Hilfebedürftigkeit eines behinderten Menschen verschaffen. Das Verfahren in Betreuungssachen ist in den §§ 65-69o des Gesetzes über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG), für Unterbringungssachen (vgl. § 1906 BGB) in den §§ 70-70n FGG geregelt. Um die Rechtsposition behinderter Menschen auch im Verfahren zu stärken, gelten sie gemäß § 66 FGG in allen Verfahren, die die Betreuung betreffen, ohne Rücksicht auf die Geschäftsfähigkeit als verfahrensfähig. Sie können demnach selbst wirksam Beschwerde einlegen, z. B. gegen die Anordnung einer Betreuung, den Umfang der Aufgabenkreise, die Auswahl der Betreuungsperson oder die Entlassung des Betreuers beantragen. Soweit behinderte Menschen ihre Interessen im Verfahren nicht selbst vertreten können, bestellt das Gericht für sie einen Verfahrenspfleger (§ 67 FGG).
Betreuer müssen jährlich einen Bericht über ihre Tätigkeit erstatten, der durch das Gericht geprüft wird. Eltern, Ehegatten, Lebenspartner sowie Vereins- und Behördenbetreuer von betreuten Menschen sind in der Regel von der Berichtspflicht im Rahmen der Vermögenssorge befreit (§ 1908 i i. V. m. §§ 1854, 1857 a BGB). Das Vormundschaftsgericht überwacht und berät die Betreuer; es hat gegen Pflichtwidrigkeiten durch geeignete Gebote und Verbote einzuschreiten (§ 1908 i i. V. m. § 1837 BGB). Das Gesetz räumt der ehrenamtlichen Betreuung den Vorrang vor der berufsmäßigen Betreuung ein (§ 1897 Abs. 6 BGB). Von den rd. 1,2 Millionen rechtlichen Betreuungen in Deutschland (Stand 2007) werden etwa zwei Drittel ehrenamtlich, der Rest im Rahmen einer Berufsausübung geführt. Betreuungsvereine haben die Schwerpunktaufgabe, die ehrenamtliche Betreuung zu fördern (vgl. § 1908 f BGB).

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