aus: taz Bremen vom 28.07.2003
Der Bundeskongress «Gleich richtig stellen» drängt in Bremen auf ein Antidiskriminierungsgesetz.
Behindertenvertreter warnen vor Negativfolgen aktueller Gesetzesreformen.
Ein Regierungsvertreter betont: «Reform ist für uns kein Sparvorhaben»
taz «Gleich richtig stellen» - der Titel des Bundeskongresses zur
Gleichstellung Behinderter am Wochenende in Bremen war Programm und
Provokation zugleich: Behinderte Menschen in Deutschland fürchten - trotz
rechtlicher Fortschritte in den letzten Jahren - demnächst durch geplante
Reformen im Gesundheits-, Betreuungs- und Bundessozialhilfegesetz vom
Sparzwang an die Wand gedrückt zu werden. Das wurde auf mehreren Podien der
Tagung gleich richtig gestellt. Ebenso, dass der Rechtsweg gegen manche
Negativfolgen der Reformen mangels privater Klagemöglichkeit gegen
Diskriminierung immer noch ausgeschlossen sei - weil die Bundesregierung das
versprochene Antidiskriminierungsgesetz bis heute verschleppe, so der
Konsens unter den über hundert KongressteilnehmerInnen.
«Theorieversessene Juristen offenbaren Unfähigkeit», schimpfte der
Bundesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen, Karl Hermann Haack
(SPD). Es habe doch gute Vorlagen gegeben, die zudem von behinderten
Rechtsexperten - unter ihnen der Bremer Richter Horst Frehe - erarbeitet
wurden.
Gerade jetzt halten VertreterInnen von Interessengruppen behinderter
Menschen ein solches zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz für
besonders dringlich. «Nehmen Sie nur die Gesundheitsreform», erklärteHaack.
Zahnersatz, Arbeitsunfähigkeit, alles solle privat versichert werden. «Aber
private Versicherungen nehmen keine Behinderten - oder nur zu deutlich
schlechteren Konditionen», führte er aus. Die geplante Gesetzgebung schließe
behinderte Menschen also vom Versicherungssystem aus. Dagegen könnte eine
zivilrechtliche Klage auf Grundlage eines Antidiskriminierungsgesetzes
helfen. Ebenso gegen Banken, Urlaubs- und Reiseanbieter sowie
Hauseigentümer, die Verträge mit Behinderten ablehnen können.
Applaus bekamen die niedersächsische FDP-Politikerin Gesine Meißen und der
Grüne Bundespolitiker Markus Kurth für ähnliche Statements bei der
Abschlussdiskussion. Doch bekamen die Politiker zugleich scharfe Kritik zu
hören. «Ich bin erstaunt, dass hier keiner deutlich sagt: Das System wird
umgekrempelt. Dabei soll der Staat entlastet werden, es geht nicht darum,
Behinderte zu schützen», fuhr Klaus Lachwitz von der Bundesvereinigung
Lebenshilfe scharfe Geschütze auf. Wer sich darauf verlasse, dass behinderte
Menschen nach der Gesundheitsreform noch Taxifahrten zum Arzt oder in die
Klinik erstattet bekämen, könne sich getäuscht sehen. Die Leistungen der an
die Sozialhilfe gebundenen Krankenhilfe orientierten sich stets an den
Erstattungskriterien der gesetzlichen Krankenversicherung - die dies aus
ihrem Leistungskatalog streichen wolle. «Wir müssen das alles mit höchster
Aufmerksamkeit beobachten», mahnte Lachwitz, während Rainer Wilmerstadt vom
Bundesministerium für Gesundheit und Soziales klar stellte: «Für uns ist die
Bundessozialhilfereform kein Sparvorhaben.»
Doch Wachsamkeit forderte Lachwitz auch bei den Reformvorhaben zum
Betreuungsgesetz. Vertreter von Bund und Ländern wollten offenbar die Kosten
für Betreuung senken, um die Justiz finanziell zu entlasten. So sähen Pläne
aus Nordrhein-Westfalen vor, die Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche
Betreuer auf 180 Euro monatlich zu halbieren. Für Hauptamtliche solle es
Pauschalen geben. «Wir kommen wieder dahin, dass Einzelne möglichst viele
Fälle betreuen», warnte er.
Zugleich forderte Lachwitz, neue Allianzen für ein
Antidiskriminierungsgesetz zu suchen. Behinderte müssten verstärkt auf
Richter-, Anwalts- und Wirtschaftsverbände zugehen. «Für die ist die
Vertragsfreiheit von Partnern eine heilige Kuh» - aber gegen sie sei ein
Antidiskriminierungsgesetz schwer durchsetzbar. ede
taz Bremen Nr. 7115 vom 28.7.2003, Seite 21, 126 Zeilen (TAZ-Bericht), ede