NETZWERK ARTIKEL 3
Verein für Menschenrechte und Gleichstellung Behinderter e.V.

informiert über

Gleichstellung behinderter Frauen

Vortrag von Dr. Angela Icken - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der Tagung «Gleich richtig stellen» Gleichstellung für Behinderte von der Kommune bis zur UN am 26./ 27. Juli 2003 in Bremen

In meinem kurzen Vortrag möchte ich im Wesentlichen auf 3 Themen eingehen

Anfangen möchte ich mit dem Zusammenhang von Geschlecht, d.h. der Unterscheidung von Männern und Frauen und Behinderung: Wissenschaftliche Fachrichtungen wie die Soziologie und die Sozialwissenschaft, die sich mit dem Zusammenleben in unserer Gesellschaft beschäftigen, unterscheiden bei ihren Arbeiten nach Geschlecht - und damit in zwei gleichgroße Gruppen Männer und Frauen.

Insbesondere in der Vergangenheit wurden häufig Gesetze gemacht oder politische Maßnahmen ergriffen, die sich an dem Lebenslauf von Männern, mit ihrer Ausbildung und Berufstätigkeit orientieren.
Der Lebenslauf von Frauen ist aber anders als der Lebenslauf von Männern, weil die Frauen die Kinder bekommen und sich oft in der Familie um die Kinder kümmern, aber auch weil Frauen häufig Berufe erlernen, in denen sie nicht so viel Geld verdienen. Dies sind wichtige Gründe, warum Frauen in vielen Bereichen unserer Gesellschaft noch nicht gleichberechtigt sind.

In der Bundesrepublik Deutschland bestehen in nahezu allen Lebensbereichen Unterschiede im Lebensalltag von Frauen und Männern. Daher kann man nicht davon ausgehen, dass Gesetze und Regelungen Männer und Frauen in gleicher Weise betreffen. Vielmehr werden oft männlich geprägte Sicht- und Vorgehensweisen übernommen. Die Unterschiede im Leben von Männern und Frauen müssen daher in Erforschung, Planung, Umsetzung und auch Auswertung von politischer Vorgaben und Entscheidungen verständlich gemacht und besprochen werden

Der Begriff «Behinderungen» hat in der Wissenschaft keine allgemeine und verbindliche Festlegung, sondern wird meist verstanden, als etwas, was von dem abweicht, was d.h. die Mehrzahl der Männer und Frauen darstellen. Für Menschen mit Behinderung reichen viele Bestimmungen in den Gesetzen nicht aus. Für sie müssen zusätzliche Gesetze gemacht werden.

Weil man sich in unserer Gesellschaft so häufig vom Lebenslauf von Männern leiten lässt, kommt es, dass man bei behinderten Frauen von einer doppelten Benachteiligung spricht: Einer Benachteiligung, weil sie Frauen sind, und einer Benachteiligung, weil sie behindert sind.

Daher wurde der besonderen Lebenssituation von Frauen mit Behinderung im Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) und im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) Rechnung getragen. D.h. es wurde in den Gesetzen mit den besonderen Bestimmungen für behinderte Menschen gesagt, dass die besonderen Lebenssituationen von Frauen zu beachten sind.
Frauen haben andere Lebenshintergründe und andere Lebensplanungen als Männer; beide Gesichtspunkte galt es in den Gesetzen zu verankern und beide Gesichtspunkte sind bei der Ausführung der Gesetze gleichwertig zu berücksichtigen.

Das Behindertengleichstellungsgesetz stellt so z.B. fest, dass sogar Maßnahmen zur Förderung behinderter Frau erlaubt sind, damit Frauen nicht mehr benachteiligt werden.

Im SGB IX heißt es z. B. auch, dass «den besonderen Bedürfnissen behinderter Mütter und Väter bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages sowie auch den besonderen Bedürfnissen behinderter Kinder Rechnung zu tragen ist». Dies ist eine wichtige Regelung zur Gleichstellung behinderter Frauen, von der vor allem behinderte Mütter - mit ihrem Lebenshintergrund profitieren sollten. Dazu gehört auch, dass in der beruflichen Rehabilitation, wie in den Werkstätten und in den Berufsförderungswerken für Frauen die Kinder haben, Teilzeitplätze geschaffen werden sollen.

Ich möchte aber auch noch auf das Thema «Gewalt gegen behinderte Frauen» eingehen, dass wohl von allen Interessenvertretungen behinderter Frauen immer wieder aufgegriffen wurde. Gewalt gegen Frauen ist ein Thema, das die Abteilung Gleichstellung seit fast 30 Jahren zusammen mit vielen Frauen in unserer Gesellschaft beschäftigt.

Vor wenigen Tagen wurde eine Strafrechtsreform im Deutschen Bundestag verabschiedet.

Hier ist vorgesehen
Insgesamt zählt: Täter, die an einer Person eine sexuelle Handlung begangen haben, sollen jetzt also eher und härter bestraft werden.

Diese Strafrechtsreform war ein ganz wichtiges Anliegen behinderter Frauen und ihrer Interessenvertretungen.

Wichtige Voraussetzung dafür, dass wir im Bereich der Gesetzgebung so erfolgreich waren, waren auch die Projekte - und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter -, die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert hat.

Das war zunächst die bundesorganisationsstelle behinderte frauen, mit Gisela Hermes, Andrea Tischner und Joerg Fretter, die von September 1999 bis August 2003 gefördert wurde. Die bundesorganisationsstelle behinderte frauen hatte die Aufgabe, schwierige Lebenssituationen von Frauen mit Behinderungen zusammen zutragen und zu beschreiben. Sie hat die Bundesregierung und die Frauen mit Behinderungen über die Schwierigkeiten informiert.

Dann war es das Rechtsprojekt, das bei der Bundesorganisationsstelle angegliedert wurde. Julia Zinsmeister hat dort für uns - und für Sie alle - eine unschätzbare Arbeit geleistet. Sie hat die rechtliche Seite der schwierigen Lebenssituationen beschrieben und die betroffenen Frauen über ihre Rechte informiert. Das Rechtsprojekt hat der Bundesregierung viele Lücken in den Gesetzen gezeigt. Dadurch konnte die Bundesregierung das SGB IX, das BGG und die Strafrechtsreform in vielen Bereichen praxisnah gestalten. Dabei mussten allerdings der Regelungen anderer bestehender Gesetze und der Versicherungssysteme berücksichtigt werden.

Nun haben wir viele gesetzliche Regelungen erreicht, die wir uns vorgestellt haben, vielleicht mit dem einen oder anderen Abstrich.

Daher ist es nur folgerichtig, dass wir nun mit Weibernetz eine bundesweite Interessenvertretung behinderter Frauen fördern, das jetzt in allen Gremien des Bereiches der Menschen mit Behinderungen vertreten ist und dort einen wichtigen Beitrag zu Gleichstellung behinderter Frauen leisten kann.

Gemeinsam haben wir viel erreicht, wenn es um die Gleichberechtigung behinderter Frauen ging. Wir haben aber auch noch viel zu tun.

Ich denke hier zuerst an die Umsetzung der neueren Gesetze. Sie muss so erfolgen, dass die Anliegen behinderter Frauen so umgesetzt werden, wie der Gesetzgeber und Sie es vorgesehen haben. Denn was nutzt es uns, wenn wir fortschrittliche Gesetze haben, die die Wünsche und Anliegen behinderter Frauen berücksichtigen, die Gesetze aber nicht so verwirklicht werden?

Hierzu gehört auch die Umsetzung des Beschäftigtenschutzgesetzes in Werkstätten. Das Beschäftigtenschutzgesetz sagt, dass niemand an seinem Arbeitsplatz sexuell belästigt werden darf und der Arbeitgeber auch dafür sorgen muss, dass das nicht passiert. Wir bereiten nun in Zusammenarbeit mit dem Rechtsprojekt bei der bundesorganisationsstelle behinderte Frauen einen Aushang und eine Broschüre jeweils in einfacher Sprache vor, die die Beschäftigten in den Werkstätten über ihre Rechte aufklären.


Der nächste wichtige Punkt ist die Umsetzung der EU-Richtlinie (2000/78/EG), die schreibt vor, was alle Länder in Europa machen sollen. Sie ist eine von 3 EU-Richtlinien, die durch Deutschland noch umgesetzt werden müssen: das sind Richtlinien - Benachteiligung auf Grund der Rasse oder ethnischen Herkunft, zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen und der Benachteiligung u.a. wegen einer Behinderung wird von einer eigenen Projektgruppe in der Abteilung Gleichstellung unseres Ministeriums erarbeitet. Der Teil, der das BGB betrifft, fällt in die Zuständigkeit des Bundesjustizministeriums. Es ist geplant diese Richtlinien 1 : 1 umzusetzen, das heißt, sie genau nach den Vorgaben der Europäischen-Richtlinien in deutsches Recht zu übertragen. Dies bedeutet aber auch, dass die Umsetzung der Europäischen-Richtlinie 2000/78/EG sich auch nur auf den Bereich der Arbeitswelt beziehen wird, wie es auch die Richtlinie vorsieht.
Die Bundesregierung plant, dass alle drei Richtlinien in einem Paket umgesetzt werden sollen. Die Arbeiten hierzu laufen auf Hochtouren.


Zum Schluss bleiben mir noch zwei Punkte, die ich nicht oder noch nicht im Einzelnen erläutern kann.

Ganz wichtig ist es für mich, dass wir uns mit dem Bereich «Gewalt gegen behinderte Frauen» beschäftigen. Hier ist aus meiner Sicht, aus der Sicht meiner Kolleginnen in anderen Bundesministerien, aber auch aus Sicht der Interessenvertretungen behinderter Frauen noch viel zu tun.
Außerdem ist es mir persönlich sehr wichtig, die Interessenvertretungen behinderter Frauen zu stärken und in ihrer Arbeit zu unterstützen. Über drei Jahre wird nun das «Weibernetz» als bundesweite Interessenvertretung behinderter Frauen durch unser Ministerium gefördert. Das ist wichtig, weil die Frauen dort nun die Möglichkeit haben, die Anliegen behinderter Frauen überall - auch dort wo es um die Umsetzung von Gesetzen geht, zu vertreten.

Wir haben alle gemeinsam noch viel Arbeit und noch einen langen Weg vor uns, wenn es um die Gleichstellung von Frauen und ganz besonders von behinderten Frauen geht. Ein chinesisches Sprichwort sagt, dass jeder lange Weg mit einem ersten Schritt beginnt. Ich denke, im Hinblick auf die Gleichstellung behinderter Frauen haben wir diesen ersten Schritt schon getan.


Ihr E-Mail-Kontakt an das Tagungsbüro  ottmar.miles-paul@bifos.de

 nach oben zurück 
  Inhalt  
 Drucken 
 Fenster schließen 

Page maintained by
Rolf Barthel   am 26.07.03

   Diese Seite wurde aktualisiert am  Donnerstag, dem 01.01.1970, 01:00