kobinet-Nachrichten vom 10.09.2003 - 14:53
Keine Begleitung - kein Musical ("Musical"-Fall)
«Mein Name ist Anita Grießer. Als ich vor ein paar Jahren mit meinem damaligen Freund, der auch einen Rollstuhl nutzt, Urlaub in Hamburg machte, wollten wir ein Musical besuchen. Wir hatten richtig Lust auf das Musical und riefen an, um Karten zu reservieren. Dort wurde uns dann erklärt, dass wir als Rollstuhlfahrer ohne Begleitung nicht ins Musical dürfen. Im Brandfalle könne sich niemand um uns kümmern, war die Begründung hierfür. Damit so etwas in Deutschland nicht wieder vorkommt, fordere ich Nicht ohne uns! Behinderte ins Antidiskriminierungsgesetz!» omp
Die Lösung:
Mit dem Kauf einer Eintrittskarte erwirbt der Besucher das Recht zur (regelmäßig passiven) Teilnahme an der Veranstaltung. Die Fallgestaltung erfüllt die Annahme, dass es sich hierbei um einen allgemein angebotenen Vertrag nach bürgerlichem Recht handelt. Der Nichtverkauf von Eintrittskarten an behinderte Menschen stellt eine Benachteiligung im Sinne des § 319a Abs. 1 6. Variante Ziff. 1a BGB dar, wobei das Verhalten eine unmittelbare Benachteiligung deswegen darstellt, weil es einen behinderten Menschen eine weniger günstige Behandlung widerfahren lässt als einem nicht behinderten (vgl. § 319b Abs. 1 BGB).
Frau Grießer hätte nunmehr einen Anspruch auf künftige Unterlassung des diskriminierenden Verhaltens (also müsste ihr das Musical-Theater künftig Eintrittskarten zu den gleichen Konditionen verkaufen wie einem nicht behinderten Besucher der Veranstaltung). Dies folgt aus § 319e Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB I.V.m. § 2 Abs. 3 UKlaG. Der Anspruch auf Unterlassung könnte auch von einem Behindertenverband durchgesetzt werden, der mindestens 75 Mitglieder hat und der in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt ist (also in der Satzung beispielsweise steht, dass sich der Verband überwiegend oder ausschließlich mit den Anliegen und Interessen behinderter Menschen befasst). Das folgt aus § 3 Abs. 3 UKlaG.
Frau Grießer könnte weiterhin auf Folgenbeseitigung klagen, also darauf, so gestellt zu werden, als hätte sie den Vertrag über den Besuch der Musical Veranstaltung geschlossen und dieses von vornherein besuchen hätte können (vgl. zu dieser Möglichkeit § 319e Abs. 1 Satz 1 2. Alternative BGB). Sofern sie daran kein Interesse mehr hätte, stünde ihr ein Schadenersatz zu, was sich aus § 319e Abs. 1 Satz 3 BGB ergibt.
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Kobinet-Nachrichten vom 11.09.2003 - 9:48
Mit Papa zum Flugzeug ("Flugzeugbegleitung"-Fall:
Als der achtjährige Robin Morillo am Morgen des 19. Juni 2003 in den Zug zum Frankfurter Flughafen stieg, waren er und sein Kuschelhund Puppy trotz der großen Reise allein im Flugzeug in die USA noch ganz guter Dinge. Als er aber am Schalter von Delta Airlines am Flughafen miterleben musste, dass sein sehbehinderter Papa über eine halbe Stunde debattieren musste, bis er ihn zusammen mit seiner Begleitperson bis ans Gate begleiten durfte, war er stinksauer. «Andere Väter dürfen auch mit ans Gate, nur weil mein Papa Assistenz braucht, um sich am Flughafen zurecht zu finden, machen die so einen Zirkus. Das ist ungerecht», so Robin, der in den USA lebt und seinen Papa öfter in Deutschland besucht. Deshalb müssen behinderte Menschen in das zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz mit aufgenommen werden
Die Lösung:
Unmittelbar betroffen ist nicht der Vertragsteilnehmer, in diesem Fall Robin Morillo, sondern dessen auf Assistenz angewiesener Vater. Insofern ist zu fragen, ob der Vater denn überhaupt von der Schutzwirkung, die vom § 319a Abs. 1 Ziff. 1a 3. Variante BGB ausgeht (also die Ausgestaltung eines Vertrages) überhaupt mit umfasst ist. Die Lösung ergibt sich aus § 319b Abs.1 BGB, der darauf abstellt, dass eine unmittelbare Benachteiligung dann vorliegt, wenn eine Person eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere. Robin Morillo ist nun aber darauf verwiesen, dass ihn das Flughafenpersonal zum Flugzeug bringt und nicht der eigene Vater, was für Robin eine deutliche Schlechterbehandlung darstellt als für Kinder von nicht behinderten Elternteilen. Es kann auch kein berechtigtes Anliegen des Flughafenbetreibers darstellen, dass er zur Wahrung der Sicherheit des behinderten Menschen lediglich das Begleiten von Familienangehörigen mit Assistenz erlaubt, da dies grundsätzlich einen Assistenzbedarf für behinderte Menschen selbst dort suggeriert, wo dieser gar nicht gegeben ist.
Robin Morillo hat also einen Anspruch auf Unterlassung gegenüber dem Flughafenbetreiber, da in sein Vertragsverhältnis indirekt eingegriffen worden ist und er von seinem behinderten Vater nicht mit zum Gate begleitet werden konnte.
Ein Folgenbeseitigungsanspruch dürfte für Robin ohne Interesse sein, da er den Flug ja bereits unternommen hat, allerdings ist es für ihn sicherlich von Interesse, dass ihn sein Vater wenigstens in Zukunft mit zum Gate begleiten kann. Durch den Verstoß, Kinder mit behinderten Eltern beim Zugang zum Flugzeug mit solchen mit nicht behinderten Eltern gleich zu behandeln, wofür es - wie aufgezeigt - keinen sachliche Begründung gibt, greift der Unterlassungsanspruch aus § 319e Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB. Zu denken ist ggf. auch an einen Schadenersatzanspruch aus § 319e Abs. 1 Satz 3. Hingewiesen sei auch noch auf das Verbandsklagerecht für den Unterlassungsanspruch gem. § 3 Abs. 3 UKlaG
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Kobinet-Nachrichten vom 12.09.2003 - 12:46
«An Rollstuhlfahrer vermieten wir nicht mehr»
«Mein Name ist Dr. Andreas Jürgens. Vor ein paar Jahren war ich auf der Suche nach einer Ferienwohnung. Hierfür rief ich ein Unternehmen an, das bundesweit eine Vielzahl von Ferienwohnungen vermietet. Als ich mich nach barrierefreien Ferienwohnungen erkundigte, die auch für Rollstuhlfahrer nutzbar sind, hieß es plötzlich, dass ich keine Wohnung mieten könne. Auf meine Nachfrage, warum dies denn nicht ginge, bekam ich die Antwort: «An Rollstuhlfahrer vermieten wir nicht mehr».
Die Lösung:
Beim Abschluss eines Mietvertrages über eine Ferienwohnung handelt es sich um eine bürgerlich-rechtliche Angelegenheit, folglich greifen die Benachteiligungsregelungen aus dem ZAG-Entwurf.
Da Herrn Dr. Jürgens bereits der Abschluss des Vertrages verweigert worden ist, greift im vorliegenden Fall § 319a Abs. 1 5. Benachteiligungsvariante Ziff. 1a BGB, d.h. Herr. Dr. Jürgens wurde beim Abschluss eines öffentlich angebotenen Vertrages unmittelbar benachteiligt. Die direkte Benachteiligung liegt darin, dass Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind von Verträgen über die Anmietung von Ferienwohnungen ausgeschlossen werden.
Nach der in § 319c festgelegten Beweislastregel trägt der Vermieter der Ferienwohnungen die Beweislast dafür, dass schon eine Benachteiligung nicht vorliegt (die er hier sicherlich nicht führen kann) bzw. dass er nach zulässigen Unterscheidungskriterien den Vertrag mit Herrn Dr. Jürgens nicht geschlossen hat.
Im vorliegenden Fall kommt einzig ein sachlicher Grund im Sinne des § 319d Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 4. Variante BGB in Betracht. Ein sachlicher Grund könnte z.B. darin liegen, dass Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, in der Vergangenheit durch die Benutzung des Rollstuhls in den Ferienwohnungen höhere Schäden verursacht haben als solche, die nicht auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen sind. Dies wäre jedoch kein Ausschlussgrund für den Abschluss des Vertrages, da der Vertrag in diesem Fall - zum Beispiel durch die Hinterlegung einer Kaution - angepasst werden kann. Dies folgert sich aus § 319d Abs. 1 Satz 2 1. Alternative BGB, der einer Vertragsanpassung auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes stets den Vorrang vor dem Nichtabschluss eines öffentlich angebotenen Vertrages gibt.
Herr Dr. Jürgens hat Anspruch auf künftige Unterlassung des Nichtabschlusses des Mietvertrages für die Nutzung der Ferienwohnungen, was sich aus § 319e Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB i.V.m. § 2 Abs. 3 UKlaG. Den Unterlassungsanspruch kann Herr Dr. Jürgens sowohl selbst als auch durch einen Behindertenselbsthilfeverband wahrnehmen lassen (vgl. hierzu § 3 Abs. 3 UKlaG).
Neben dem Unterlassungsanspruch für die Zukunft steht Herrn Dr. Jürgens auch ein Schadenersatzanspruch wegen Nichtabschlusses eines Vertrages zu, was sich aus § 319e Abs. 1 Satz 3 BGB ergibt.
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Kobinet-Nachrichten vom 14.09.2003 - 9:50
Keine Unfallversicherung für pflegebedürftige
«Mein Name ist Elke Bartz. Als ich vor ein paar Jahren eine Kreditkarte beantragte, wurde mir gesagt, dass ich im Schadensfall keine Leistungen der automatisch mit finanzierten und für alle anderen geltenden Unfallversicherung bekomme. Der Grund ist meine Pflegebedürftigkeit (siehe §3 AUB Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen). Damit Pflegebedürftige und 'Geisteskranke', wie es in den AUB lautet, nicht mehr länger pauschal vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werden, fordere ich die Aufnahme behinderter Menschen in das zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz». omp
Die Lösung:
Das Problem im vorliegenden Fall ist ein zweiseitiges. Zum einen stellen sich die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen sämtlicher privater Unfallversicherungsträger dar, was die Anwendbarkeit der §§ 319a BGB zunächst einmal auszuschließen scheint. Frau Bartz wird nämlich nicht unbedingt durch den Vertrag unmittelbar sondern mittelbar durch die Bestimmung 4.1 der "Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen" benachteiligt, die für sämtliche privaten Unfallversicherungsträger Gültigkeit haben. Im Punkt 4.1 der besagten Bestimmung ist eine Regelung zu finden, die aussagt, dass Unfallversicherungen mit Menschen, die pflegebedürftig im Sinne der Pflegestufe 2 oder 3 nach dem SGB XI sind, nicht abgeschlossen zu werden brauchen.
Völlig unstreitig ist wohl, dass es sich hierbei um eine direkte Schlechterbehandlung behinderter Menschen gegenüber nicht Behinderten und damit um eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 319b Abs. 1 BGB handelt.
Ein weiteres Problem liegt allerdings darin begründet, dass es sich beim vorliegenden Rechtsgeschäft um ein Koppelgeschäft handelt, d.h., dass das eine Rechtsgeschäft (der Kreditkartenvertrag) offensichtlich ohne das andere (nämlich den Abschluss der Unfallversicherung) gar nicht abgeschlossen werden kann.
Insofern wäre zunächst zweierlei zu klären: Inwiefern muss das Kreditkartenunternehmen nicht ggf. seine vertraglichen Bestimmungen dahingehend ändern, dass es den Kreditkartenvertrag auch ohne die entsprechende Unfallversicherung anbietet. Zu denken ist hier also an eine Vertragsanpassung im Sinne des § 319d Abs. 1 Satz 2 BGB, um den - möglicherweise - vorliegenden sachlichen Grund im Sinne des § 319d Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 4. Variante BGB zu eliminieren.
Fraglich ist also weiterhin, ob die Pflegebedürftigkeit in den Pflegestufen 2 und 3 einen sachlichen Grund zum Nichtabschluss des gesamten Vertrages rechtfertigt. Das würde bedeuten, dass die Pflegebedürftigkeit für den Unfallversicherer von vornherein ein wesentliches höheres Versicherungsrisiko in der Unfallversicherung darstellt als das Fehlen einer Pflegebedürftigkeit. Zum einen ist das in dieser Pauschalierung einfach falsch, womit der sachliche Grund dem Grundsatz nach bereits zusammen bricht. Zum anderen sind die Versicherungsunternehmen doch überhaupt nicht gehindert, gerade diejenigen Unfallschäden, die üblicherweise bei einem bestimmten Krankheitsbild regelmäßig auftreten, vom Vertrag auszuschließen. Das müssten sie dann allerdings für die Allgemeinheit der Versicherten tun, da es ersichtlich keine Rechtfertigung gibt, weshalb gerade pflegebedürftige Menschen einem höheren Unfallrisiko unterliegen sollen als solche, die nicht auf Pflege angewiesen sind.
Nach der hier vertretenen Ansicht hat also auch Frau Bartz einen Anspruch auf Unterlassung gem. §§ 319e Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB, § 2 Abs. 3 UklaG wie auch auf Folgenbeseitigung nach § 319e Abs. 1 Satz 1 2. Alternative BGB, d.h., das Versicherungsunternehmen muss sie so stellen, wie sie gestanden haben würde, wenn sie den Vertrag ursprünglich hätte eingehen können.
Der Unterlassungsanspruch kann auch von einem Behindertenverband durchgesetzt werden (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 1 UKlaG).
Sofern Frau Bartz hieran kein Interesse mehr hat, steht ihr ein Schadenersatzanspruch zu, was aus § 319e Abs. 1 Satz 3 BGB folgert.
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