vorgestellt von H.- Günter Heiden
Veröffentlichungen zu den rassistischen und menschen-verachtenden Positionen der AfD gibt es zuhauf, insbesondere zum Bereich „Migration“. Dagegen sind Aufsätze und Analysen zu den AfD-Positionen im Politikfeld „Behinderung“ und „Inklusion“ leider noch Mangelware. Dabei sorgten in den letzten Jahren die Äußerungen der AfD-Politiker Björn Höcke zur schulischen Inklusion („Ideologieprojekt“ und „Belastungsfaktor“) sowie von Maximilian Krah zu Tagesschau-Nachrichten in Einfacher Sprache („Nachrichten für Idioten“) für die eindeutigen Belege der rechtsextremen Gesinnung ihrer Politik-Darsteller. Es wird deshalb höchste Zeit, sich auch aus wissenschaftlicher Perspektive genauer mit den Positionen der AfD und ihren Akteuer*innen zu befassen. Da kommt eine aktuelle (und bislang unveröffentlichte) Bachelor-Abschlussarbeit am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel gerade richtig.
Die Autorin Mandy Müller hat ihrer Arbeit den Titel „Behindertenpolitische Positionierungen der AfD“ gegeben und konzentriert sich dabei (neben dem Grundsatzprogramm der AfD aus dem Jahr 2016) auf das Programm der AfD zur Bundestagswahl 2025. Dieses untersucht sie vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention und verwendet dabei das Analyse-Element der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF), ein bewährtes soziologisches Instrumentarium, das an der Universität Bielefeld bereits Anfang 2000 unter anderem vom Soziologie-Professor Wilhelm Heitmeyer entwickelt wurde. Mit GMF meint Heitmeyer ein „breites Spektrum von offenen und verdeckten (feindseligen) Einstellungen und Orientierungen gegenüber markierten sozialen Gruppen“.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als Analysekriterium
Kennzeichnend für GMF sind nach Müller drei Dimensionen: Erstens: Das Ausspielen einer „Ingroup“ gegen eine andere „Outgroup“, wobei letztere abgewertet und die eigene „Ingroup“ aufgewertet wird. Zweitens: Utilitaristische Kalküle, also die Bewertung von Menschen nach ihrem gesellschaftlichen Nutzen. Drittens: Die Konsequenzen aus den Abwertungsmechanismus, also die Folgen der Abwertung. Auf dieser Basis untersucht Müller vier inhaltliche Komplexe der Behindertenpolitik, wie sie in den untersuchten Dokumenten der AfD dargestellt werden: schulische Inklusion, Werkstättensystem, Pflege durch Angehörige sowie abwertende Sprache. Ergänzend untersucht sie eine Kleine Anfrage der AfD zu Migration und Behinderung der AfD-Bundestagsfraktion aus dem Jahr 2018. Diese vorliegenden Dokumente sind laut Müller für Menschen mit Sehbeeinträchtigung zwar alle barrierefrei lesbar, es gebe sie jedoch nicht in Leichter Sprache und Begriffe wie Barrierefreiheit, Barriereabbau oder Teilhabe seien nicht zu finden.
Müller stellt dann in ihrer ausführlichen Analyse fest, dass GMF bei der AfD nicht als „vereinzelte rhetorische oder programmatische Entgleisung“ stattfindet, sondern als strukturelles Element vorhanden ist, durch das behinderte Menschen systematisch ausgegrenzt und abgewertet werden. Perfiderweise argumentiert die AfD dabei unter dem Deckmantel als vorgebliche „Beschützerin der Menschen mit Behinderungen“, die natürlich nur zu ihrem eigenen Wohl in exkludierenden Sonderwelten leben sollen.
In ihrem Fazit schreibt Müller zum Schluss ihrer Arbeit: „Die behindertenpolitischen Positionierungen der AfD sind defizitorientiert und menschenfeindlich. Dies geht automatisch auch mit einer Demokratiegefährdung einher. Sie zielen auf eine systematische Ungleichwertigkeit gesellschaftlicher Gruppen ab und untergraben damit zentrale Prinzipien demokratischer Verfasstheit wie Integrität und Solidarität.“ Aus meiner Sicht ist Müller mit ihrer Arbeit gelungen, auf einer wissenschaftlichen Basis die menschenrechtswidrige Behindertenpolitik der AfD offenzulegen. Wünschenswert wären viele weitere Analysen aus den Reihen der Hochschulen, zumal im Jahr 2026 wichtige Landtagswahlen anstehen und zu vermuten ist, dass sich die AfD weiterhin in den medialen und politischen Vordergrund spielen will.
Link zur Bachelorarbeit von Mandy Müller
Weitere Lesetipps zum Thema
Dieser Text wäre aber nicht vollständig, wenn er nicht auf zwei weitere aktuelle Publikationen zum Thema verwiese. Da ist einmal Jan Riebe zu nennen. Er ist Bildungsreferent bei der Amadeu Antonio Stiftung für Rechtsextremismusprävention und hat 2024 einen Aufsatz unter dem Titel „Ideologieprojekt Inklusion: Positionierungen der AfD zu Inklusion als Ausdruck ihres rechtsextremen Weltbildes“ (https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_01384026) veröffentlicht. Riebe untersuchte anhand der bis Ende 2023 erschienenen Wahl- und Grundsatzprogramme der AfD den Bereich der schulischen Inklusion. Er attestiert der AfD in seinem Aufsatz „zumindest in Teilen eine massive Menschenverachtung“, sie betrachte die Inklusion als „Teil eines Kulturkampfes“.
Außerdem möchte ich auf Dagmar Herzog hinweisen. Sie ist US-amerikanische Historikerin und Professorin für Geschichte an der City University of New York und konstatiert in ihrem just erschienenen Buch „Der neue faschistische Körper“ eine „obsessive Behindertenfeindlichkeit als elementarer Grundbaustein des AfD-Programms“. Ein Interview mit der taz zu ihrem lesenswerten Buch ist nachzulesen unter https://krueppel-gegen-rechts.de/2025/09/10/die-afd-ist-so-obsessiv-behindertenfeindlich-wie-keine-andere-rechtslastige-bewegung/.