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Alsterdorfer Markt: Foto: Susanne GöbelHamburg: Ottmar Miles-Paul hat sich im Rahmen des Projektes "Gute Nachrichten zur Inklusion", das er für das NETZWERK ARTIKEL 3 koordiniert, vor kurzem das Treiben auf dem Alsterdorfer Markt in Hamburg angeschaut. Mit Hanne Stiefvater vom Vorstand der Evangelischen Stiftung Alsterdorf führte er im Anschluss daran ein Interview. Dabei geht es u.a. um die Entwicklung des ehemaligen Anstaltsgeländes hin zu einem ausgezeichneten Markt und offenen Gelände, wo zunehmend Inklusion gelebt wird.

Ottmar Miles-Paul: Vor kurzem konnte ich das Treiben auf dem Alsterdorfer Markt bei einem Besuch selbst erleben. So wie heute, war es nicht immer an diesem Ort. Wie sah es früher auf dem Gelände der Evangelischen Stiftung Alsterdorf aus und wie kam es zur Etablierung des Alsterdorfer Marktes?
 
Hanne Stiefvater - Foto: Evangelische Stiftung AlsterdorfHanne Stiefvater: Wo heute der Alsterdorfer Markt ist, war zuvor ein ungenutzter Platz, umgeben von alten unansehnlichen Anstaltsgebäuden, die im Zuge der Entwicklung des Marktplatzes abgerissen wurden. Das Gelände hier im Stadtteil Alsterdorf war immer noch zum großen Teil eingezäunt, eben ein Anstaltsgelände. Um diese Sonderwelt zu öffnen und im Sinne von Inklusion weiterzuentwickeln, entstand die Idee eines lebendigen Marktplatzes mit Einkaufsmöglichkeiten, einem Wochenmarkt mit vielen Produkten aus der Region und diversen Kulturangeboten. Eben als ein Platz für Begegnungen und als quirliges Zentrum des Stadtteils Alsterdorf. Am 19. Oktober 2003 wurde der Alsterdorfer Markt eingeweiht. Das war ein historischer Tag für die Stiftung: Das ehemalige Anstaltsgelände war nun komplett öffentlich zugänglich. Heute ist das Stiftungsgelände ein lebendiges Quartier mit Nahversorgung, Gastronomie, Kultur- und sozialen Einrichtungen und vielen Veranstaltungen.
 
Ottmar Miles-Paul: Wie wurde bzw. wird das Angebot von der Nachbarschaft aus dem Stadtteil und von den Anwohner*innen auf dem Gelände angenommen?
 
Hanne Stiefvater: Die Angebote wurden und werden sehr gut angenommen, sowohl von den Menschen, die hier auf dem Gelände wohnen sowie von denen, die aus der Nachbarschaft hierherkommen. Die Frequentierung des Marktplatzes ist gleichbleibend hoch. Mehr als 5.000 Menschen besuchen täglich den Markt. Und vielen Besucher*innen ist gar nicht bewusst, dass dieses Gelände einmal ein Anstaltsgelände war. Hier ist also ein Sozialraum entstanden, der von allen heute ganz selbstverständlich genutzt wird. 2017 wurde der Alsterdorfer Markt von der Stadt Hamburg dafür als "Wegbereiter der Inklusion“ gewürdigt.
 
Ottmar Miles-Paul: Welche Highlights bietet der Alsterdorfer Markt Ihrer Meinung nach?
 
Hanne Stiefvater: Der Alsterdorfer Markt ist ein Ort der Begegnung für Menschen mit und ohne Behinderung wie es ihn in Hamburg kein zweites Mal gibt. Das war auch ein Grund dafür, dass wir den "Wegbereiter“-Preis 2017 bekommen haben.
Der Marktplatz ist attraktiv gestaltet und frei von Autoverkehr, alles hier ist auf kurzem Wege zu erreichen. Hier gibt es eine große Vielfalt von Dingen, die man zum täglichen Leben braucht. Man kann hier in einem inklusiven Restaurant lecker zu Mittag essen, es gibt Ärzte, eine Apotheke, einen Friseur und vieles mehr. Alle Geschäfte sind stufenfrei erreichbar.
Ein weiteres Highlight sind die zahlreichen Veranstaltungen, die wir hier anbieten: Vom barrierefreien Open-Air-Kino im Sommer, über Flohmärkte, Musikveranstaltungen bis hin zum Alsterdorfer Adventsmarkt. Diese Veranstaltungen sind sehr gefragt.
 
Ottmar Miles-Paul: Die Umgestaltung des ehemaligen Anstaltsgeländes war und ist ein längerfristiger Prozess. Was war dabei besonders wichtig und was steht heute noch an?
 
Hanne Stiefvater: Besonders wichtig war, dass die Menschen den Marktplatz und seine Angebote annehmen. Denn nur so kann Begegnung, Kommunikation und darüber auch Inklusion stattfinden. Und das ist sehr gut gelungen. Wir entwickeln das gesamte Stiftungsgelände kontinuierlich weiter, auch in Bezug auf eine noch bessere Barrierefreiheit. Neben dem schon vorhandenen inklusiven Wohnprojekt der Alsterdorfer Gärten soll das inklusive Koops-Quartier entstehen. Geplant ist der Neubau von ca. 90 Mietwohnungen für Familien, Senior*innen, Student*innen. Für Menschen mit und ohne Behinderung. Bauherrin und zukünftige Vermieterin des Koops-Quartiers ist die Evangelische Stiftung Alsterdorf.
Und wir bieten auf dem gesamten Stiftungsgelände einen interessanten Mix: Neben den inklusiven Wohnprojekten bieten wir - jeweils inklusiv – vielseitige medizinische Angebote, Bildungsmöglichkeiten in der Bugenhagenschule Alsterdorf, Freizeit und Sportangebote in der Barakiel-Halle im Rahmen unseres Bereich Sport und Inklusion. Die Halle ist übrigens eine der ersten umfassenden barrierefreien Sporthallen in Deutschland, ein echtes Leuchtturmprojekt. Und wir präsentieren unsere Geschichte von einer ehemaligen Anstalt hin zu einem inklusiven Quartier.
 
Ottmar Miles-Paul: Auf dem Gelände entsteht derzeit ein Zentrum für Barrierefreiheit. Was hat es damit auf sich?
 
Hanne Stiefvater: Im Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg beraten Expert*innen fachübergreifend Hamburger Behörden, Institutionen und Vereine rund um das Thema Barrierefreiheit. Das Kompetenzzentrum wird von drei Hamburger Organisationen getragen, die schon seit Jahrzehnten beratend in die barrierefreie Stadtgestaltung eingebunden sind: Die Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen e.V., der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e.V. und Barrierefrei Leben e.V.. Es wird finanziell gefördert durch die Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration. Das Kompetenzzentrum ist eine wunderbare Ergänzung zu der vorhandenen Vielfalt auf dem Alsterdorfer Markt und dem gesamten Stiftungsgelände.
 
Ottmar Miles-Paul: Wenn Sie zwei Wünsche für die weitere Entwicklung frei hätten, welche wären das?
 
Hanne Stiefvater: Wir arbeiten weiter daran, unser Stiftungsgelände zu einem inklusiven Modell-Quartier zu entwickeln, einem Ort, der zur Auseinandersetzung mit dem Thema Inklusion einlädt. Das ist ein gemeinsamer Weg und Lernprozess mit den Menschen hier vor Ort. Ein Wunsch von mir ist, dass wir mit dem, was hier entstanden ist und noch entsteht, noch stärker Impulsgeber für inklusive Entwicklungen in anderen Quartieren werden. Mit unserem Q8 Projekt für Sozialraumorientierung sind wir schon an der inklusiven Entwicklung von neuen Quartieren in Hamburg beteiligt, wie zum Beispiel der Mitte Altona oder wie beim Holstenquartier und dem Science City-Quartier in Bahrenfeld. Und diese Entwicklung bezieht auch inklusive medizinische Versorgung mit ein und ebenso Angebote für Senior*innen.
Ein weiterer Wunsch ist, dass die inklusive Entwicklung von Sozialräumen und Quartieren sich auf alle Ebenen des Zusammenlebens ausbreitet und wir damit Schritt für Schritt einer inklusiven Gesellschaft näherkommen.
 
Ottmar Miles-Paul: Vielen Dank für das Interview.
 
Hintergrund:
"Hanne Stiefvater ist Vorständin der Evangelischen Stiftung Alsterdorf in Hamburg, einem modernen und vielseitigen, diakonischen Dienstleistungsunternehmen. Im Mittelpunkt der Arbeit der rund ca. 6.500 Mitarbeitenden steht der Mensch mit seinen unterschiedlichen Bedürfnissen. Die Aufgabenfelder sind vielseitig. Es gibt Assistenz-, Wohn- und Bildungsangebote für Menschen mit Behinderung sowie Angebote in der Kinder- und Jugendhilfe. Medizinische und therapeutische Behandlungen in den Krankenhäusern der Stiftung gehören ebenso zum Schwerpunkt der Arbeit wie Bildungsangebote in Kindertagesstätten und Schulen sowie Seniorenhilfe und Pflege", heißt es voseiten der Stiftung.
 
 
 
Am 9. Mai wurde übrigens auch der neue Lern- und Gedenkort auf dem Gelände der Stiftung Alsterdorf eröffnet.