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Justus LauerNauen: Der 14jährige Justus Lauer aus Nauen ist in der Selbstvertretung der jungen Menschen mit Beeinträchtigung aktiv und hat diese entscheidend mit angeschoben. Er wirkt derzeit als Selbstvertreter im Prozess der SGB XIII Reform mit und moderierte vor kurzem eine Familienkonferenz zum Thema. Ottmar Miles-Paul vom Projekt Gute Nachrichten zur Inklusion des NETZWERK ARTIKEL 3, der am 27. Februar 2024 in einem Forum zur Partizipation bei der Konferenz mit dem Titel "Neuer Schwung für die UN-BRK in Deutschland: Wie weiter nach der zweiten Staatenprüfung?“ mitwirkt, sprach im Vorfeld der Veranstaltung mit Justus Lauer über seine Erfahrungen und Wünsche in Sachen Selbstvertretung und Partizipation junger Menschen mit Beeinträchtigungen. Für das NETZWERK ARTIKEL 3 ist es eine gute Nachricht zur Inklusion, dass sich auch verstärkt junge behinderte Menschen in die Behindertenpolitik einmischen und sich für Inklusion stark machen.

Ottmar Miles-Paul: Ich freue mich, dass du dich zu einem Interview mit den kobinet-nachrichten bereit erklärt hast. Wer ist Justus Lauer und was treibt dich genau um?

Justus Lauer: Ich bin in der Selbstvertretung der jungen Menschen mit Beeinträchtigung aktiv. Ich mache derzeit im Prozess der SGB XIII Reform mit und ich moderiere sehr gerne, gerade zu diesem Thema der Beteiligung behinderter Kinder und Jugendlicher.

Ottmar Miles-Paul: Wie kam es dazu, dass es die Selbstvertretungsbewegung junger Menschen mit Beeinträchtigungen gibt?

Justus Lauer: Angefangen hat es tatsächlich in Corona-Zeiten. Da habe ich oft im Radio gehört, dass immer Erwachsene für Kinder und Jugendliche generell gesprochen haben, wie es ihnen geht in der Pandemie. Und das hat mich gestört, dass immer nur die Erwachsenen befragt wurden. Als die Corona-Maßnahmen dann ausgelaufen sind, bin ich intensiver auf das Thema Selbstvertretung von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigung gekommen. Ich habe Kerstin, also Kerstin Blochberger vom Vorstand des Bundesverband behinderter Eltern, angerufen und nachgefragt, ob es eine Selbstvertretung von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen gibt. Sie hat gesagt, „nee, wir wollten zwar eine gründen mit Eltern, die ihre Kinder vertreten, aber du hast recht es muss eine echte Selbstvertretung sein, also nicht, dass Eltern für ihre Kinder sprechen.“ Eine Woche später hat Kerstin Blochberger dann bei mir angerufen und gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mit ein paar anderen Jugendlichen zusammen eine Selbstvertretung zu gründen. Und so ist das dann entstanden.

Ottmar Miles-Paul: Wir duzen uns. Du bist 14 Jahre alt?

Justus Lauer: Genau, 14 Jahre bin ich alt. Ich wohne in Nauen, das ist in der Nähe von Falkensee in Brandenburg, mit meiner Familie, meinen beiden Müttern. Die eine sitzt auch im Rollstuhl – ich sitze ebenfalls im Rollstuhl – und wir haben noch zwei Katzen.

Ottmar Miles-Paul: Wenn sich Kinder und Jugendliche selbst vertretet, gibt es da viele Themen, wo dies nötig ist? Oder ist die Welt heutzutage für Kinder und Jugendliche mit Behinderung in Ordnung?

Justus Lauer: Oh, da gibt es sehr sehr vieles, wo es nötig ist, dass wir uns selbst vertreten und einmischen. Neben dem inklusiven SGB VIII Prozess gibt es gerade sehr oft das Thema Schule und Barrierefreiheit und Hilfen in der Schule. Dann natürlich das Thema Freizeit. In Freizeitclubs, bei Freizeitveranstaltungen und solchen Sachen, die Kinder und Jugendliche ohne Beeinträchtigung ganz selbstverständlich selbst machen können, können wir das oft nicht. Gerade bei solchen Problemen machen wir ganz viel.

Ottmar Miles-Paul: Gibt es eine gute und eine schlechte Erfahrung, die du zum Beispiel in der Schule oder der Freizeit als jemand der einen Rollstuhl nutzt gemacht hast?

Justus Lauer: Also ich fang mal mit dem schlechten an, da habe ich gerade erst letzte Woche eine Erfahrung gemacht. Ich wollte auf eine Musicalfahrt der Schule mitgehen. Der Chorleiter und vier fünf andere Lehrer plus 100 Kinder, die im Musical mitwirken, gingen auf eine Fahrt und ich komme da an. Meine Mutter ist mitgekommen, weil wir oft schon schlechte Erfahrungen gemacht haben. Wir steigen aus und zwei Stunden später da merken wir, ich kann eigentlich sofort wieder nach Hause fahren, da die Toilette für mich nicht geht. Also da hatte der Lehrer uns komplett falsche Informationen gegeben und es ging wieder nach Hause.

Ottmar Miles-Paul: Das ist wirklich eine schlechte Erfahrung und hast du auch was Gutes?

Justus Lauer: Was Gutes? Also da muss ich etwas länger nachdenken. Ich habe tatsächlich etwas Gutes von einem Mitschüler zu berichten. Ich kann ja nicht Laufen. Wir haben ein Theaterstück in der Schule aufgeführt. Ich und ein Freund haben den Erzähler gesprochen in diesem Theaterstück und sollten auf der Bühne sitzen. Die Bühne hatte aber nur Stufen. Und da ich nicht Laufen kann musste ich hochkrabbeln. Das tolle war, mein Freund hat sich dazu entschieden, auch hochzukrabbeln, um es gleichberechtigt zu machen.

Ottmar Miles-Paul: Gemeinsames Krabbeln für Gleichberechtigung, das wäre mal eine interessante Aktion. Ich sehe schon so manche Akteur*innen die vielen nicht barrierefreien Bühnen hochkriechen. Vorher hast du recht locker den Begriff SGB VIII ins Spiel gebracht. Ich glaube, viele, die erwachsen und vielleicht schon 30 bis 40 Jahre alt sind, wissen nicht, was ein SGB, geschweige denn ein SGB VIII ist. Worum geht es dabei und was ist für dich als 14jähriger dabei so wichtig?

Justus Lauer: Das SGB VIII ist eine Abkürzung für das Sozialgesetzbuch 8, sprich ein Gesetzbuch mit verschiedenen Regelungen, das im deutschen Recht verankert ist. In den letzten Jahren ging es in der Diskussion um das SGB IX u.a. auch um die Rechte der Kinder und Jugendlichen mit Beeinträchtigung. Im SGB VIII geht es speziell um die generellen Rechte für die Kinder und Jugendlichen. Im Prozess der Reform des SGB VIII sollen nun die Regelungen des SGB IX mit ins SGB VIII eingepflanzt werden. Dabei geht es um die Rechte von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen. Und an diesem Prozess bin ich beteiligt, denn dabei wurden gerade auch wir Selbstvertreter von Kindern und Jugendlichen häufig gefragt. Das fand ich tatsächlich mal ne gute Sache, gerade von der Regierung, dass sie hier auch Selbstvertreter gefragt haben und nicht nur Experten.

Ottmar Miles-Paul: Diese Diskussionen zum Sozialgesetzbuch VIII sind wichtig, denn wenn man Inklusion will, dann sollte man es von Anfang an – also von der Kindheit an – machen. Das sollte also für alle Kinder und alle Jugendlichen stimmen, also da habt ihr einiges zu tun. Macht es dir Spaß?

Justus Lauer: Spaß? Ja, also die meiste Zeit. Das Einzige, was nicht wirklich so viel Spaß gemacht hat, war eine Vorbereitung auf eine Familienkonferenz, die jetzt im Januar 2024 abgehalten wurde. Aber die Konferenz selbst hat dann auch wieder richtig Spaß gemacht.

Ottmar Miles-Paul: Und du hast bei der Konferenz moderiert. Mit oder ohne Lampenfieber?

Justus Lauer: Jein. 2 bis 3 Tage vorher hatte ich großes Lampenfieber. An dem Tag der Konferenz – also in der Situation selbst – war ich dann total ruhig und das, obwohl meine Co-Moderation sehr spät kam. Aber das ist ein anderes Thema. Das kann ich jedem ans Herz legen, die moderieren wollen, in der Situation selbst ist es nicht so schlimm wie die Tage vorher.

Ottmar Miles-Paul: Noch zum Schluss. Wenn du zwei Wünsche frei hättest und die gute Fee des Weges käme, welche zwei Wünsche wären das?

Justus Lauer: Wenn es um Inklusion geht, dann wäre einmal der Wunsch da, dass wir als Selbstvertretung von jungen Menschen mit Beeinträchtigungen noch mehr Einfluss auf die Politik bekommen und wir vor allen Dingen mehr gehört werden. Dass man uns mehr Gehör schenkt. Dies wäre mein erster Wunsch. Der zweite Wunsch ist etwas schwieriger, aber vielleicht, dass diejenigen, die in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Der erste Arbeitsmarkt ist der Markt, wo die reguläre Arbeit stattfindet, die außerhalb von Werkstätten ist. Die Werkstätten sind dann sowas wie der zweite Arbeitsmarkt. Dort Beschäftigte haben aber nicht die gleichen Rechte, wie beispielsweise Leute, die in Bürojobs arbeiten. Diese kriegen mindestens einen Mindestlohn von über 12 Euro, den kriegen behinderte Mitarbeiter in Werkstätten nicht. Zusätzlich haben Werkstattmitarbeiter kein Recht zum Streiken beziehungsweise können keine Gewerkschaft gründen. Dass behinderte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden, das ist mir wichtig.

Ottmar Miles-Paul: Jetzt sitzt dir hier einer gegenüber, der fast schon 60 Jahre alt ist, sozusagen ein alter Knochen, der schon 40 Jahre in der Behindertenbewegung aktiv ist. Hast du Wünsche an diejenigen, die schon lange in der Behindertenbewegung aktiv sind? Was könnten wir tun, damit ihr jungen Leute euch selbst vertreten könnt und Schwung bekommt?

Justus Lauer: Viele könnten uns unterstützen und uns anhören. Ich habe sehr oft erlebt, dass ältere Menschen aus anderen Vertretungen uns nicht angehört haben, weil wir ja nur die Jungen sind. Manchmal klappt das mit dem Zuhören auch ganz gut. Ich habe schon den Bundesbehindertenbeauftragten Jürgen Dusel getroffen, der hat mich auch angehört, hat mir seine Karte gegeben, das war wunderbar! Aber viele der Vertretungen, die schon alt eingesessen sind, hören uns noch nicht an, obwohl wir auch Bedürfnisse als Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigung haben und nicht nur die Erwachsenen mit Beeinträchtigungen.

Ottmar Miles-Paul: Vielen Dank für das Interview.

Vom 12. – 14. April 2024 treffen sich erneut junge Menschen mit Behinderung zwischen 12 und 25 Jahren zu einem bundesweiten Treffen in Uder (Eichsfeld-Thüringen).

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