Berlin, 2. Oktober 2025: Im Interview mit den kobinet-nachrichten betont die Behindertenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Heubach, dass die Verbändeanhörung zur Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) umgehend stattfinden muss, denn nur mit der Expertise der Betroffenen entstehe ein wirksames und zukunftsfähiges Gesetz. "Dieses Vorhaben steht im Koalitionsvertrag – und alle Koalitionspartner stehen in der Pflicht, das auch einzuhalten. Die SPD ist bereit zu liefern. Jetzt müssen CDU und CSU endlich beweisen, dass auch sie es mit Inklusion und Teilhabe ernst meinen", betonte die selbst gehörlose SPD-Bundestagsabgeordnete unter anderem im Interview mit kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul.
kobinet-nachrichten: Am 25. Juni 2025 haben Sie mittels einer Presseinformation bekannt gegeben, dass Sie zur neuen Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen der SPD-Bundestagsfraktion benannt wurden. Wie verliefen die ersten drei Monate für Sie in dem neuen Amt?
Heike Heubach: Ich habe mich sehr gefreut, innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion die Verantwortung für die Belange von Menschen mit Behinderungen übernehmen zu dürfen. Die ersten Monate waren intensiv und lehrreich. Mir war und bleibt es ein Hauptanliegen, Gespräche mit Verbänden, Selbstvertretungsorganisationen und Betroffenen zu führen. Viele Gespräche stehen in den nächsten Monaten noch an. Dieser Austausch ist der Kern meiner Arbeit. Denn die betroffenen Menschen sind die wahren Expertinnen und Experten in eigener Sache – ihre Erfahrungen und Forderungen müssen der Maßstab unserer Politik sein.
Genauso entscheidend ist es, diese Stimmen in die politischen Prozesse hineinzutragen und mich innerhalb der Fraktion wie auch gegenüber der Bundesregierung klar zu positionieren. Ich sehe meine Aufgabe vor allem darin, Brücken zu bauen zwischen den Betroffenen, der Politik und der Verwaltung. Das ist eine große Verantwortung, und ich spüre dabei auch die Ungeduld vieler Menschen, die schon viel zu lange auf echte Fortschritte warten. Genau diese Ungeduld treibt mich an. Meine Motivation ist groß – und mein Anspruch ist klar: Wir müssen Barrieren abbauen, Teilhabe sichern und Inklusion endlich in allen Bereichen zur Realität machen.
kobinet-nachrichten: Als einen Schwerpunkt Ihres Wirkens haben Sie die Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes angegeben. Dieses hängt seit Anfang Juli 2025 in der Ressortabstimmung fest, sodass es nicht zur angekündigten Verbändeanhörung und dem für Anfang August vorgesehenen Kabinettsbeschluss gekommen ist. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein und was können Sie dafür tun, dass die Regelungen zur Barrierefreiheit endlich auch bei privaten Dienstleistungen und Produkten verbessert werden?
Heike Heubach: Dass wir seit Juli immer noch nicht weitergekommen sind, ist mehr als ärgerlich – es ist ein Armutszeugnis für die gesamte Koalition. Fortschritte bei der Barrierefreiheit sind längst überfällig, wenn wir endlich echte Gerechtigkeit und Teilhabe erreichen wollen. Barrierefreiheit ist kein „nice to have“, sondern ein Grundrecht und die unverzichtbare Voraussetzung für gleichberechtigte Teilhabe.
Innerhalb der SPD-Fraktion habe ich starken Rückhalt, dieses Gesetz mit voller Kraft voranzubringen. Es darf nicht länger am Zögern einzelner Ressorts scheitern. Wir als SPD machen klar: Barrierefreiheit muss einklagbar werden – und zwar verbindlich, auch für private Anbieter von Produkten und Dienstleistungen. Wer Menschen mit Behinderungen den Zugang verwehrt, verweigert ihnen die gleichberechtigte Teilhabe an unserer Gesellschaft. Das ist nicht hinnehmbar.
Die Verbändeanhörung muss umgehend stattfinden, denn nur mit der Expertise der Betroffenen entsteht ein wirksames und zukunftsfähiges Gesetz. Dieses Vorhaben steht im Koalitionsvertrag – und alle Koalitionspartner stehen in der Pflicht, das auch einzuhalten. Die SPD ist bereit zu liefern. Jetzt müssen CDU und CSU endlich beweisen, dass auch sie es mit Inklusion und Teilhabe ernst meinen.
kobinet-nachrichten: Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD und CSU kommt im behindertenpolitischen Teil das Wort Partizipation nicht vor. Welche Möglichkeiten sehen Sie beziehungsweise was werden Sie dafür tun, dass die in der UN-Behindertenrechtskonvention vorgesehene Partizipation behinderter Menschen bei den für sie wichtigen Prozessen und Entscheidungen dennoch gelebt und weiterentwickelt wird?
Heike Heubach: Dass der Begriff Partizipation im Koalitionsvertrag fehlt, ist ein klares Defizit. Noch entscheidender als die Wortwahl im Papier ist jedoch, dass wir echte Beteiligung endlich praktisch umsetzen. Für mich bedeutet Partizipation nicht, Menschen mit Behinderungen höflich anzuhören – sondern sie verbindlich in alle Prozesse einzubeziehen, die ihr Leben betreffen.
Das heißt: Betroffene müssen frühzeitig in Kommissionen, Gremien und Gesetzgebungsverfahren mit am Tisch sitzen. Dazu gehört auch, ihre Selbstvertretungsorganisationen nachhaltig zu stärken und finanziell abzusichern. Denn ohne starke Strukturen bleibt Beteiligung schnell ein Lippenbekenntnis.
Die UN-Behindertenrechtskonvention ist hier eindeutig: Nichts über die Köpfe von Menschen mit Behinderungen hinweg entscheiden. Genau an diesem Maßstab werde ich mein politisches Handeln ausrichten – und ich erwarte das auch von meinen Koalitionspartnern.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.