Der Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte sowie der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) haben am 1. Juni Revision gegen die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) in Baden-Württemberg vom 21. April eingereicht. Der VGH hatte entschieden, dass Bahnunternehmen nicht verpflichtet sind, behindertengerechte Zugänge zu Bahnsteigen anzubieten oder diese zu erhalten.
Die Behindertenverbände halten diese Rechtsauffassung für falsch. Nach ihrer
Ansicht verstößt das Beseitigen eines Bahnsteiges, der bislang für Rollstuhlfahrer/ innen zugänglich und damit barrierefrei war, gegen die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung. Diese besagt, dass die Benutzung der Bahnanlagen durch behinderte Menschen "ohne besondere Erschwernis ermöglicht wird."
"Der VGH hat diese Vorschrift zu eng ausgelegt und unsere Verbandsklage deshalb abgewiesen", so Katja Kruse, Rechtsexpertin beim Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte. "Positiv ist jedoch, dass das Gericht auf die Unvollkommenheit der derzeitigen Regelung hinweist. Laut Urteilsbegründung hat es der Gesetzgeber bislang versäumt, dem Anliegen der Barrierefreiheit in jeder Hinsicht zu entsprechen."
Da der Rechtsstreit die grundsätzliche Frage aufwirft, welche Anforderungen das Eisenbahnrecht an den behindertengerechten Umbau von Bahnsteigen stellt, hat der VGH die Revision gegen die Urteile zugelassen.
Sollte das Bundesverwaltungsgericht die erstinstanzlichen Entscheidungen bestätigen, fordern die Bundesverbände eine Nachbesserung des Gesetzgebers. "Die Beseitigung behindertengerechter Zugänge zu Bahnsteigen schränkt die Mobilität ein und verhindert die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft. Solche Bauvorhaben widersprechen deshalb den Zielen des Behindertengleichstellungsgesetzes" betont Aribert Reimann, Bundesvorsitzender des Bundesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte. Dazu Gerda Jehlicka, Bundesvorsitzende des BSK, weiter: "Gegebenenfalls muss daher im Eisenbahnrecht ein ausdrückliches Verschlechterungsverbot verankert werden. Gerade auch im Zusammenhang mit der Einführung des Antidiskriminierungsgesetzes ist es weder verständlich, noch hinnehmbar, dass Verschlechterungen Einzug in den Öffentlichen Personen Nahverkehr halten".
Hintergrund für die Verbandsklage ist der Umbau des Bahnhofes in Oberkochen
(Baden-Württemberg). Der bislang ebenerdig zugängliche Bahnsteig ist nach Abschluss der Umbaumaßnahmen nur noch über zwei Treppen sowie eine Fußgängerunterführung erreichbar. Der Einbau von Aufzügen soll erst dann erfolgen, wenn die Station täglich von mehr als 1.000 Fahrgästen genutzt wird.
Durch § 13 des am 1. Mai 2002 in Kraft getretenen Behindertengleichstellungsgesetzes ist es anerkannten Bundesverbänden behinderter Menschen erstmals möglich, bei Verstößen gegen bestimmte Vorschriften des Behindertengleichstellungsgesetzes eine Verbandsklage zu erheben. Sie ist dann zulässig, wenn das Anliegen von allgemeiner Bedeutung ist.
Quelle: Gemeinsame Pressemitteilung: Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V. und Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V., www.bvkm.de oder www.bsk-ev.de