Aus der Presse:
In der Bundesregierung bahnt sich neuer Streit an. Die SPD hält die Position der Union zum Antidiskriminierungsgesetz für zu restriktiv und liebäugelt mit der Haltung des früheren Koalitionspartners.
BERLIN - Im Bundestag wurden am Freitag Erinnerungen an die vergangene Legislaturperiode wach: Eine Aussprache zum von den Grünen vorgelegten Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz (ADG) geriet zum Schlagabtausch zwischen Union und FDP auf der einen und SPD, Grünen und Linkspartei auf der anderen Seite.
Mit dem ADG sollen EU-Richtlinien zur Gleichbehandlung in deutsches Recht überführt werden. Die Brüsseler Vorgaben, mit deren Umsetzung Berlin bereits um mehr als zwei Jahre im Verzug ist, haben zum Ziel, Benachteiligungen wegen des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, des Alters, der Religion und der "sexuellen Identität" vorzubeugen. Bereits vor Jahresfrist hatte sich die damalige Regierung auf ein entsprechendes nationales Gesetz geeinigt; zur Verabschiedung kam es jedoch vor den Neuwahlen nicht mehr, da die Union es im Bundesrat blockierte. Wie auch zahlreiche Wirtschaftsverbände kritisiert die Union bis heute, Rotgrün habe EU-Recht nicht "eins zu eins" umgesetzt, sondern "draufgesattelt". So solle etwa der Diskriminierungsschutz in Deutschland nicht nur im Arbeitsrecht gelten, sondern auch im Zivilrecht.
Gestern brachten die Grünen exakt den Entwurf erneut ins Parlament, der im letzten Sommer hinfällig geworden war. Man brauche einen "stimmigen und fairen Schutz vor Benachteiligungen", betonte die Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk. Ausdrücklich mahnte sie an, dass man - wie zahlreiche weitere EU-Staaten - weiter gehen müsse, als es Brüssel vorschreibe: "Warum soll ausgerechnet die deutsche Wirtschaft ein Recht auf Diskriminierung von Behinderten, Älteren oder von Lesben und Schwulen haben?"
Der rechtspolitische Sprecher der Union, Jürgen Gehb (CDU), rügte, die Grünen verfolgten einen juristisch unhaltbaren "Gleichbehandlungsanspruch" und wollten ihren früheren Koalitionspartner vorführen. Die SPD reagierte indes höchst aufgeschlossen: Was die Grünen vorgelegt hätten, sei eine "hervorragende Grundlage für die weiteren Beratungen", lobte die Abgeordnete Christei Humme. Dagegen sei die Art, wie der aktuelle Koalitionspartner Union mit dem Thema Gleichbehandlung umgehe, "pauschal", "polemisch" und "populistisch".
"Halbwahrheiten" der Wirtschaft
Auch die Behinderten-Beauftragte der Bundesregierung, Karin Evers-Meyer, warb für das alte rot-grüne Projekt. Die SPD-Politikerin rügte "Halbwahrheiten", die vor allem die Wirtschaft verbreite. Sie nannte es eine "Schande", dass Behinderte in Deutschland immer noch "täglich" in Gaststätten oder von der Versicherungsbranche diskriminiert würden.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) will dem Vernehmen nach am liebsten am alten rot-grünen Projekt festhalten. In Unionskreisen zeigt man sich darüber ungehalten. Allerdings, so wird hier bedauernd angemerkt, habe man sich ja im Koalitionsvertrag auf die vage Formulierung einlassen müssen: "Die EU-Gleichbehandlungsrichtlinien werden in deutsches Recht umgesetzt."
Quelle: MICHAEL BERGIUS (Frankfurter Rundschau vom 21. Januar 2006)