Karl Hermann Haack
(Pressemitteilung zur Grundsatzrede des Behindertenbeauftragten auf der Bilanzveranstaltung » Teilhabe gestalten - Konsequenzen aus dem EJMB « am 18. Februar 2004 in Berlin. Die komplette Rede finden Sie unter www.behindertenbeauftragter.de/standpunkte .)
Auf der zweitägigen Bilanzveranstaltung zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003 (EJMB) am 18./19. Februar in Berlin umriss der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Karl Hermann Haack, in einer programmatischen Rede Perspektiven der Behindertenpolitik für die kommenden Jahre.
Ausgehend von einer positiven Würdigung des EJMB sagte Haack: » Das EJMB ist rasch vergangen, aber es ist nicht Vergangenheit. Welchen Erfolg wir konkret und dauerhaft im Einzelnen erzielen, das wird sich allerdings erst noch erweisen müssen. Es liegt nicht zuletzt auch in unserer eigenen Hand. «
Der Beauftragte erinnerte an den Erfolg seiner kulturellen Aktivitäten im EJMB, bei denen behinderte Menschen sich mit ihren ganz eigenen Fähigkeiten als Maler, Schauspieler, Schriftsteller oder auch als Sänger gezeigt hätten. Haack erklärte: » Dieses ’zweite Standbein’, wie es einmal genannt wurde, ist in meiner Arbeit sehr wichtig. «
Haack erinnerte auch an konkrete Forderungen aus dem EJMB, etwa nach einem Antidiskriminierungsgesetz und sagte dazu: » Ich darf nach einem Gespräch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem Deutschen Behindertenrat, das Ende Januar stattfand, sagen, dass die Chancen dafür besser geworden sind. Wir haben aus dem Treffen, bei dem auch Frau Bundesjustizministerien Zypries anwesend war, den Auftrag mitgenommen, eine Lösung nicht nur zu suchen, sondern auch zu finden und zu präsentieren. Aber: Die Sache ist noch lange nicht in ’trockenen Tüchern’ und deshalb ist es richtig und nötig, dass Sie hier intensiv darüber diskutieren werden. «
Anschließend wandte sich Haack zukünftigen Aufgaben in der Behindertenpolitik zu, wobei er drei Themen besonders herausstellte:
In der sozialen Praxis der Rehabilitations- und Teilhabeleistungen sei eine sehr viel stärkere Orientierung an den Bedürfnissen der einzelnen Person notwendig. Das SGB IX stelle zwar beispielsweise in den Wunsch- und Wahlrechten, dem Persönlichen Budget und den Gemeinsamen Servicestellen die richtigen Instrumente bereit für ein nutzerorientiertes, vernetztes Rehabilitations- und Teilhabeverfahren. Diese müssten aber durch eine Stärkung der fallbezogenen Beratung (Case management) und der Unterstützung durch die Kompetenz der Selbsthilfe (peer counseling) besser genutzt werden.
Haack: » Ganzheitliche Beratung und Unterstützung führen zu einer gemeinsamen Bedarfsermittlung, Zielformulierung und Hilfeplanung. Das gesamte so definierte Assessmentverfahren kann in der Gemeinsamen Servicestelle erfolgen. Dies bedingt eine Weiterentwicklung der Servicestellen zu trägerübergreifenden, interdisziplinären Kompetenzzentren mit Steuerungs- und Entscheidungsbefugnissen. «
Der Beauftragte rief zweitens die Behindertenbewegung dazu auf, als kompetente Partner von Politik und anderen gesellschaftlichen Interessen sogenannte » Kompetenzzentren « aufzubauen und zu vernetzen.
Haack erläuterte seinen Vorschlag: » Die im Deutschen Behindertenrat zusammengeschlossenen Verbände ergreifen die Initiative und führen Ressourcen zusammen. Sie gehen aber auch auf potentielle Partner und Verbündete zu, die zum Beispiel in den Universitäten bereits in den Startlöchern sitzen. Es werden Kompetenzzentren gebildet; daraus entsteht schließlich ein Netz, das Aufgaben wie Beratung bei Fragen der Barrierefreiheit, aber auch Entscheidungsvorbereitung in politischen Prozessen wahrnehmen kann, sich dabei aber gegebenenfalls ebenso als professioneller Dienstleister auf dem Markt positionieren kann. Hier wäre auch eine Möglichkeit, in stärkerem Maße als bisher Gedanken und Inhalte von Konzepten wie ’universal design’ in die professionellen Bereiche (z.B. von Architekten, Ingenieuren) hineinzutragen, die dies zwar umsetzen sollten, bislang aber nur ansatzweise aufgegriffen haben. «
Schließlich präsentierte der Behindertenbeauftragte den Veranstaltungsteilnehmern sein Konzept eines Teilhabeplanes. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf den Vorschlag der EU-Kommission von Oktober 2003 (vgl. gesonderten Artikel in dieser Ausgabe, d.Red.), einen Aktionsplan zur Förderung der Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen zu verabschieden. Er habe, so Haack, sich dadurch bestärkt gesehen, ein solches Projekt auch auf nationaler Ebene anzugehen. Der Beauftragte kündigte baldige Gespräche hierzu an und sagte weiter: » Ein Teilhabeplan stellt sich der Aufgabe, mittel- und langfristig Handlungsfelder und Ziele für eine aktive Teilhabepolitik zu bestimmen. Auf europäischer Ebene wird dafür jetzt auch der Begriff ’inclusion’ gebraucht. Wir müssen ein Bild davon gewinnen und konkretisieren, wohin die gesellschaftliche Situation von Menschen mit Behinderungen sich entwickeln soll. Dies kann uns bei der täglichen - oftmals kurzfristigen - Arbeit an Gesetzesvorhaben helfen, Richtung und Richtigkeit unseres Tuns immer wieder selbst zu prüfen sowie kritisch prüfen zu lassen. Notwendig dazu ist ein Perspektivenwechsel hin zu einem umfassenden Ansatz der Einbeziehung und Berücksichtigung von Belangen behinderter Menschen, der mit dem englischen Begriff ’disability mainstreaming’ gekennzeichnet werden kann, das heißt: Jedwedes politisches und gesellschaftliches Handeln soll danach befragt werden, in welcher Weise es zur Gleichstellung und Teilhabe behinderter Menschen beiträgt bzw. sie verhindert. «
In diesem Zusammenhang nannte Haack ein konkretes Ziel auf Bundesebene:
» Im Rahmen des Teilhabeplanes möchte ich beispielsweise konkret die Verpflichtung für alle Bundesministerien durchsetzen, ihre Gesetzes- und Verordnungsvorhaben dahingehend zu prüfen, welche Auswirkungen diese auf Menschen mit Behinderungen haben. Sonst dürften sie gar nicht ins Parlament. Dies wäre in meinen Augen eine angemessene und umfassende Berücksichtigung der Belange behinderter Menschen. «