» Nichts über uns ohne uns « — Menschen mit Behinderung als PartnerInnen in der Entwicklungszusammenarbeit — ein Tagungsbericht
(Quelle: » Behinderung und Dritte Welt « 3/203)
Unter dem Motto » Entwicklung braucht Beteiligung - ‘Nichts über uns ohne uns’. Menschen mit Behinderung als PartnerInnen in der Entwicklungszusammenarbeit « hat am 14. November 2003 eine internationale Tagung im Haus der GTZ (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) in Berlin stattgefunden. Diese Veranstaltung wurde durchgeführt, um im internationalen Jahr der Menschen mit Behinderung 2003 einen Beitrag zu internationalen Fragestellungen zu leisten und gleichwohl vor dem Hintergrund einer zu geringen Berücksichtigung von Menschen mit Behinderung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, Impulse für eine gleichberechtigte Teilhabe in entwicklungspolitischen Maßnahmen mit der Beteiligung der Betroffenen und ihrer Organisationen zu geben.
Gemäß dieser Zielrichtung setzte sich der Veranstalterkreis zusammen aus nicht-staatlichen und staatlichen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und Selbstorganisationen von Menschen mit Behinderung: Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit, Christoffel-Blindenmission, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW), Disabled Peoples’ International Germany und Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand der Ansatz des Inclusive Development, der eine gleichberechtigte Berücksichtigung von Menschen mit Behinderung bei allen entwicklungspolitischen Maßnahmen mit der aktiven Beteiligung der Betroffenen beinhaltet. Auch wenn in der internationalen Diskussion diese Inhalte durch Mainstreaming oder cross-cutting issue benannt werden, so geht es doch allen internationalen Akteuren (wie zum Beispiel der Weltbank) um die oben erwähnte gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen. Behinderung wird in diesem Kontext auch nicht mehr als medizinisches Modell, sondern als eine Frage der Menschenrechte gesehen.
Die Weltbank und einige europäische Regierungen haben die Belange behinderter Menschen bereits als integralen Bestandteil in ihre Entwicklungspolitik aufgenommen. Besonders die skandinavischen Länder nehmen eine Vorreiterstellung ein. Im Jahre 2000 hat in Kopenhagen eine skandinavische Konferenz auf Ministerebene stattgefunden, auf der konkrete Vereinbarungen zur Umsetzung von Inclusive Development in ihren jeweiligen Ländern und in Beziehung zu multilateralen Organisationen getroffen wurden. Die Umsetzung dieser Vereinbarungen soll mit einer weiteren Konferenz im Jahre 2005 überprüft werden. Bislang haben zwei Länder Behinderung offiziell in ihre entwicklungspolitischen Leitlinien (Norwegen und Finnland) aufgenommen, Schweden hat 1995 ein Strategiepapier verabschiedet, in dem die Unterstützung von Menschen mit Behinderung im Kontext der Menschenrechte festgeschrieben wird und in Dänemark wird eine inklusive Entwicklungspraxis intensiv über DSI (Danish Council of Organizations of Disabled People - Dachorganisationen der dänischen Behindertenorganisationen) unterstützt.
Die gleichberechtigte Teilnahme von Menschen mit Behinderung in Entwicklungs-programmen ist ebenfalls von der Europäischen Union mit ihrer Resolution im März 2002 anerkannt worden. Zur Umsetzung ist eine Guidance Note erarbeitet worden, die den Vertretungen der Europäischen Union auf Länderebene zur Verfügung gestellt worden ist.
Mit DSI in Dänemark sowie auch SHIA in Schweden existieren im skandinavischen Raum starke Behindertenverbände, die bereits seit Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind und diese mit gestalten. Ebenso wie SHIA erhält auch DSI staatliche Mittel, mit denen entwicklungspolitische Projekte durchgeführt werden können. DSI ist ein Dachverband von 31 Organisationen von und für Menschen mit Behinderung und zählt insgesamt 350.000 Mitglieder.
Auch in Finnland engagieren sich Organisationen von Menschen mit Behinderung seit Jahren aktiv in der Entwicklungszusammenarbeit und haben wesentlich dazu beigetragen, dass ein inklusiver Entwicklungsansatz international immer mehr Anerkennung findet.
Auf deutscher Seite wird die entwicklungspolitische Zusammenarbeit, die Förderung von Menschen mit Behinderung betreffend, hauptsächlich von Nicht-Regierungs-organisationen wahrgenommen, die sich in der VENRO-Arbeitsgruppe » Behindertenarbeit in Entwicklungsländern « zusammengeschlossen haben. Diese Arbeitsgruppe setzt sich nicht nur dafür ein, Behinderung als wichtiges Thema in entwicklungspolitischen Prozessen und Dokumenten zu verankern, sondern bemüht sich auch um eine stärkere Beteiligung von Menschen mit Behinderung und ihren Organisationen bei entwicklungspolitischen Vorhaben. So ist es zum Beispiel auf die Bemühungen dieser Arbeitsgruppe zurückzuführen, dass Menschen mit Behinderung im Aktionsprogramm Armutsbekämpfung der Bundesregierung als wichtige Zielgruppe aufgenommen wurde.
Im Rahmen der staatlichen finanziellen Zusammenarbeit gewinnt die Förderung von Menschen mit Behinderung an Bedeutung. Waren Projekte der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) jahrelang nur auf den orthopädischen Sektor begrenzt, so unterstützt die GTZ nun Vorhaben für Menschen mit Behinderung auch in anderen Bereichen (etwa Sport, Berufsbildung, Schulbildung).
Von deutscher Seite wird ebenso die Entwicklung einer Menschenrechtskonvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderung unterstützt. Trotz der Verabschiedung der Standard Rules on the Equalization of Opportunities of People with Disabilities im Jahre 1993, hat sich die Situation vieler behinderter Menschen nicht verbessert. Da die Standard Rules kein verbindliches Instrument darstellen, mit denen Menschen mit Behinderung ihre Rechte einfordern können, erhielt die Initiative des mexikanischen Präsidenten Vicente Fox eine Mehrheit für die Verabschiedung einer Resolution der Vereinten Nationen, die Mitte dieses Jahres (gemeint ist 2003, d.Red.) zu dem Übereinkommen führte, dass eine Menschenrechtskonvention erarbeitet werden soll. Von deutscher Seite ist neben dem Ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, das Auswärtige Amt sowie der Deutsche Behindertenrat als nationales Beratergremium damit befasst. Im Rahmen der Ressorterweiterung soll auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eingebunden werden, so dass mit diesem Schritt die Anerkennung der Förderung von Menschen mit Behinderung als Menschenrechtsthema in der Entwicklungszusammenarbeit erwartet wird und die Einbindung in allgemeine entwicklungspolitische Vorhaben mehr Gewicht erhält.
Mit der Vorstellung des Projektes Community Approaches to Handicap in Development (CAHD) mit Modellcharakter ist ein Ansatz vorhanden, der aufzeigt, wie Menschen mit Behinderung in Entwicklungsprozessen eingebunden und berücksichtigt werden können. Dieses Konzept berücksichtigt die in Entwicklungsländern knappen Ressourcen und nutzt den Ansatz der gemeindenahen Rehabilitation (community based rehabilitation). Damit wird eindrucksvoll gezeigt, wie Inclusive Development praktisch umgesetzt und eine weitaus größere Zahl von behinderten Menschen erreicht werden kann, unter aktiver Beteiligung von Menschen mit Behinderung. In Bangladesch entwickelt, werden nun auch Projekte in Indien, Nepal, Indonesien und Philippinen durchgeführt.
In Entwicklungsländern besteht ein Netz von Organisationen von Menschen mit Behinderung. Diese stehen als Projektpartner zur Verfügung, auch wenn die Kooperationen mit Entwicklungsorganisationen noch sehr viel stärker ausgebaut werden müssen. Dort, wo Selbsthilfeorganisationen bereits vorhanden sind und die notwendigen Strukturen etablieren konnten, wirkt sich ihre Arbeit auf die Entwicklung ihrer ganzen Gemeinschaft aus. Allerdings wird es auch in Zukunft noch sehr wichtig sein, Menschen mit Behinderung in den südlichen Ländern mit geeigneten Maßnahmen in die Lage zu versetzen, als Projektpartner tätig werden zu können.
In Arbeitsgruppen wurde der Frage nachgegangen, wie Inclusive Development unter Beteiligung der Betroffenen umgesetzt werden kann und welche Voraussetzungen dazu im Norden und im Süden notwendig sind: Für die Umsetzung einer inklusiven Entwicklungszusammenarbeit wurde die Notwendigkeit der Verankerung in der offiziellen Entwicklungspolitik gesehen, die auch ausschließt, dass Projekte gefördert werden, die nicht für alle Menschen zugänglich sind (Barrierefreiheit).
Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit sind in der Regel am Thema Behinderung nicht besonders interessiert. Erst die Vorgaben von staatlicher Seite eröffnen die Möglichkeit für eine intensivere Zusammenarbeit. Die Erfahrungen aus Finnland und Dänemark zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und Behindertenorganisationen, sehr effizient ist, Synergien schafft und zur Entwicklung neuer Modelle beiträgt. Von Bedeutung ist überdies, dass Menschen mit Behinderung in Entwicklungsorganisationen mitarbeiten und von Seiten der Organisationen auch aktiv angeworben werden.
Die Berücksichtigung von Menschen mit Behinderung kann im Entwicklungsprozess durch bestehende Organisationen erfolgen, wie das Modellprojekt CAHD in Bangladesch zeigt. Während Entwicklungsorganisationen in Bangladesch der entry point war, können dies in anderen Ländern Selbstorganisationen von Menschen mit Behinderung oder staatliche Institutionen sein. Wichtig dabei ist, dass bereits existierende Ressourcen genutzt werden und diese durch geeignete Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen (Bewusstseinsbildung, Information, Training) in die Lage versetzt werden, Menschen mit Behinderung mit zu berücksichtigen.
Hinsichtlich der derzeitigen unbefriedigenden Fördersituation behinderter Menschen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und den Notwendigkeiten, diese wirkungsvoller und nachhaltiger zu gestalten, wurde Handlungsbedarf in den folgenden Bereichen gesehen und artikuliert:
Mit der abschließenden Zusage von Detlef Dzembritzki und Dr. Christian Ruck, Behinderung im nächsten Jahr im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung als Thema auf die Tagesordnung zu bringen, konnte ein erster wichtiger Schritt getan werden. Ein weiteres positives Signal ist die angestrebte Beteiligung des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an der Erarbeitung der Menschenrechtskonvention für Menschen mit Behinderung und damit die Behandlung als eine Frage der Menschenrechte.
Gabi Weigt
Die Beiträge der Tagung werden als Online-Dokumentation erscheinen und sind abrufbar unter: www.bezev.de .