Resümee des Deutschen Behindertenrates (DBR) zum Ende des EJMB
(Presse-Statement des DBR vom 3. Dezember 2003)
Mit dem EJMB verbanden die Behindertenverbände das Ziel, die von der Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode formulierte Politik des Paradigmenwechsels in der Politik für Menschen mit Behinderung und chronisch Kranke fortzuführen. Als DBR hatten wir die Hoffnung, gerade in diesem Jahr wichtige Schritte in der Verwirklichung von Gleichstellung, Selbstbestimmung und der vollen Teilhabe zu gehen. Die Forderung » Nichts über uns - ohne uns « steht.
Unsere Messlatte, dargestellt bei der Auftaktveranstaltung des EJMB in Deutschland in Magdeburg war:
Das waren und sind klare Forderungen und Ansprüche der im Aktionsbündnis DBR zusammengeschlossenen Verbände und Selbsthilfegruppen. Teilhabe, Selbstbestimmung und Gleichstellung waren und bleiben Schlüsselforderung auch nach dem EJMB. In sehr vielen Veranstaltungen, die von Mitgliedsorganisationen des DBR im Jahr 2003 durchgeführt wurden, stand dieses breite Themenspektrum zur öffentlichen Diskussion. Folgende Punkte sollen noch einmal besonders hervorgehoben werden:
Seit dem 1. Mai 2002 ist das Bundesgleichstellungsgesetz in Kraft. In Magdeburg forderten wir die Politik auf, noch im EJMB einen Gesetzentwurf für ein zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz vorzulegen. Wir müssen feststellen, dies ist nicht erfüllt worden.
Um den eingeschlagenen Weg der Gleichstellungspolitik fortsetzen, war die Schaffung von wirksamen Landesgleichstellungsgesetzen von großer Bedeutung. In diesem Jahr wurden unter anderem in Bayern, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz Landesgleichstellungsgesetze vorgelegt. Wir fordern alle anderen Bundesländer auf, ebenfalls LGGs zu erarbeiten bzw. zu verabschieden.
Dass die Bundesregierung sowohl für eine UN - Menschenrechtskonvention, in der die Rechte behinderter Menschen festgeschrieben werden, als auch für eine europäische Richtlinie gegen Diskriminierung offensiv eintrat, merken wir positiv an.
Arbeit bedeutet Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und muss deshalb weiterhin zentrale Aufgabe der Politik für Menschen mit Behinderung sein. Der DBR hat an der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes mitgearbeitet und die von der Bundesregierung initiierte Kampagne für mehr Beschäftigung behinderter Menschen unterstützt. Im Oktober 2002 haben wir die positiv erscheinenden Zahlen zur Kenntnis genommen. In den folgenden Monaten zeigte sich jedoch, dass mit dem Ende der Kampagne ein rascher Anstieg der Arbeitslosigkeit behinderter Menschen erfolgte. Gegenwärtig sind etwa 165.00 Schwerbehinderte arbeitslos, das heißt, damit wurde die Arbeitslosenzahlen Schwerbehinderter nicht wie vorgesehen um 50.000 sondern nur um 20.000 gesenkt In Ostdeutschland ist sogar keine Veränderung zu erkennen.
An der Herstellung von Barrierefreiheit müssen sich alle Vorhaben zur Gleichstellung messen lassen. Das ist die Forderung des §4 des Bundesgleichstellungsgesetzes. Als Instrumente zur Herstellung der Barrierefreiheit sieht das Gesetz den Abschluss von Zielvereinbarungen vor. Des Weiteren sind die Landkreise und die kreisfreien Städte aufgefordert, bei der Fortschreibung ihrer ÖPNV-Pläne konkrete Maßnahmen zur Herstellung der Barrierefreiheit aufzunehmen.
Der DBR hat von zwei Arbeitsgruppen dazu Materialien erarbeiten lassen: eine Musterzielvereinbarung sowie Standards der Barrierefreiheit für den ÖPNV und hat sie der Öffentlichkeit vorgestellt und übergeben.
Wir fordern alle Verantwortlichen auf den entsprechenden Ebenen (Kommunen, Bundesländer, Bund) auf, ihre Anstrengungen zur Herstellung von Barrierefreiheit zu verstärken. Die Vertreter der Medien bitten wir, mit uns gemeinsam gute Beispiele zu propagieren, aber auch die Schaffung neuer Barrieren anzuprangern.
Der DBR fordert eine Ethik, die das Lebensrecht behinderter Menschen unterstreicht.
Wir wenden uns gegen eine Aufweichung der geltenden deutschen Regelungen unter dem Stichwort » Beseitigung von Wettbewerbsnachteilen « und warnen vor Konsequenzen.
Der DBR lehnt die Auffassung der Bundesjustizministerin Frau Zypries in dieser Frage ab und protestiert energisch gegen den Beschluss des Europäischen Parlamentes, verbrauchende Embryonenforschung zuzulassen. Die deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament, die mehrheitlich gegen diesen Beschluss stimmten, haben die volle Unterstützung des DBR. Die Bundesregierung fordern wir auf, jeglichen Vorschlägen zur Aufweichung deutschen Rechtes entgegenzutreten und im europäischen Ministerrat gemeinsam mit Frankreich und Italien ihre Sperrminorität auszuüben.
Ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung war das Ringen um reale und nachhaltig wirkende Strukturreformen sowie um den Erhalt einer solidarisch gestalteten und paritätisch finanzierten Krankenversicherung. Wir müssen feststellen: Diese weitreichende Aufgabe konnte nicht erfüllt werden. Immer mehr bleibt die Solidarität auf der Strecke. Etwa 80% des Mehraufwandes durch die neuen Regelungen tragen die versicherten Leistungsnehmer und ca.20% die Leistungserbringer. Wir lehnen diesen Weg über unverhältnismäßige Belastungen der Versicherten ab. Das GKV-Modernisierungsgesetz halten wir für völlig ungeeignet, die strukturellen und finanziellen Probleme im deutschen Gesundheitswesen zu lösen.
Wir fordern den Gesetzgeber nachhaltig auf:
Zur Einordnung der Eingliederungshilfe in ein SGB XII - persönliche Assistenz, persönliches Budget
Völlig überraschend und ohne Beteiligung der Behindertenverbände legte die Bundesregierung im August dieses Jahres einen Gesetzentwurf SGB XII vor. Verbal griff die Bundesregierung damit eine langjährige Forderung der Verbände auf. Im BSHG, welches vor über 40 Jahren als Netz unter den Netzen für außergewöhnliche Notlagen geschaffen wurde, ist die Eingliederungshilfe ordnungspolitisch falsch platziert. Leider geht der Entwurf der Bundesregierung, bei Verwendung von Begriffen und Formulierungen aus der Behindertenbewegung, weit am Ziel vorbei und wir lehnen diesen - ohne uns entstandenen Gesetzentwurf - ab. Wir fordern:
Das Ringen um die Gestaltung und Ausgestaltung dieser Fragen in den nächsten Jahren beschränkt sich nicht nur und vorrangig auf die Finanzen. Es ist Ausdruck dafür, welche Gesellschaft nach den gesellschaftlichen Umbrüchen des vergangenen Jahrzehnts entsteht: Eine Gesellschaft für alle Menschen oder eine Gesellschaft der Ausgrenzung und Selektion.
Abschließend stellen wir schmerzlich fest, dass gerade im EJMB, welches für mehr Teilhabe und Chancengleichheit behinderter Menschen wirbt, die bis 2002 praktizierte Beteiligung der Behindertenverbände an der Gesetzgebung und an der Vorbereitung der großen Gesetzgebungsverfahren nicht weitergeführt wurde. Die Gremienarbeit wurde formal organisiert, die Anhörungen im Bundestag trugen Alibicharakter. Wir gehen davon aus, dass eine erfolgreiche Behindertenpolitik nur mit den behinderten Menschen und ihren Organisationen konzipiert und umgesetzt werden kann. Voraussetzung ist, dass die Bundesregierung zu Formen der Einbeziehung und Beteiligung aus der 14. Legislaturperiode zurückkehrt.