Der Sächsische Landtag hat am 23. April 2004 das » Gesetz zur Verbesserung des selbstbestimmten Handelns von Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen « (alter Titel: ’Gesetz zur Verbesserung der Integration von Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen - Sächsisches Integrationsgesetz‘ ) beschlossen, das am 26. Juni 2004 in Kraft getreten ist.
Es wurde der Entwurf der Regierung verabschiedet, nachdem der Alternativentwurf von PDS, SPD und den Behindertenverbänden abgelehnt wurde. Damit ging eine lange Geschichte der Gesetzesdiskussion zu Ende. Hier ein Rückblick aus Sicht der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag:
In Artikel 7 Absatz 2 der Verfassung des Freistaates Sachsen heißt es: » Das Land bekennt sich zur Verpflichtung der Gemeinschaft, alte und behinderte Menschen zu unterstützen und auf die Gleichwertigkeit ihrer Lebensbedingungen hinzuwirken. «
Seit vielen Jahren kämpften die Behindertenverbände in Sachsen um Gleichstellungsregelungen, die sie auch gegebenenfalls einklagen können.
Bereits 1998/99 hatte die PDS-Fraktion einen Gleichstellungsgesetzentwurf eingebracht, der jedoch bis zum Ende der Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet wurde. Im Anhörungsprozess wurde aber deutlich, dass die Behindertenverbände trotzdem ein großes Interesse an einem Gleichstellungsgesetz haben und aktiv an dessen Erarbeitung mitwirken wollen. Diese Idee wurde aufgegriffen und es bildete sich eine Initiativgruppe der Behindertenverbände und der beiden Landtagsfraktionen PDS und SPD. Nach Informationen der PDS-Fraktion sei es jedoch nicht gelungen, die Teilnahme der CDU-Fraktion zu erreichen. Im Ergebnis der Arbeit wurden von der Initiativgruppe Positionen und Wünsche für ein Sächsisches Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderungen aufgeschrieben und an alle Fraktionen übergeben mit dem Wunsch, ein gemeinsames Gesetz mit diesen Inhalten zu schaffen.
In Anbetracht der Querelen erarbeiteten dann PDS- und SPD-Fraktion einen gemeinsamen Gesetzentwurf für ein Gesetz zur Gleichstellung, gleichberechtigten Teilhabe und Integration von Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen und brachten ihn in erster Lesung am 16. Oktober 2003 ein. Mit dem Gesetzesentwurf sollte das Menschenrecht von Menschen mit Behinderung auf selbstbestimmtes und würdevolles Leben verwirklicht und trotzdem die Realitäten des Machbaren und Möglichen nicht aus dem Auge verloren werden. So hatte dieser Gesetzentwurf die Gleichstellung, die umfassende sowie gleichberechtigte Teilhabe und die Integration von Menschen mit Behinderung im Freistaat Sachsen zum Ziel. Mit Artikel 1 wurde das Sächsische Behindertengleichstellungsgesetz formuliert, das eigene Gleichstellungsregelungen treffen sollte, das bestehende Benachteiligungen beseitigen bzw. abbauen oder dauerhaft verhindern sollte, das eine volle und gleichberechtigte Teilnahme ermöglichen wollte und das eine adäquate materielle Gleichstellung zum Ziel hatte. In weiteren Artikeln (2 - 19) des Gesetzes sollten wichtige Landesgesetze und Verordnungen geändert werden, zum Beispiel die sächsische Bauordnung, das sächsische Schulgesetz, das ÖPNV-Gesetz und das Landesblindengeld-Gesetz.
Die CDU-Fraktion hatte es aber abgelehnt, einen gemeinsamen Entwurf einzubringen und die Staatsregierung versprach immer wieder an einem Gleichstellungsgesetz zu arbeiten. Sie schaffte es gerade noch, vor Ende des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung im Dezember 2003, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen. Sozialministerin Orosz erklärte dabei für die Staatsregierung am 18. Dezember 2003: » Ziel des vorgelegten Gesetzentwurfs ist es, Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen, ihre gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. Die passive Vermeidung von Benachteiligungen und Diskriminierungen allein reicht dazu nicht aus. Vielmehr geht es darum, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen aktiv so zu gestalten, Barrieren und Hindernisse, die der Integration in verschiedenen Lebensbereichen und damit der Teilhabe und Chancengleichheit entgegenstehen, weitestgehend zu beseitigen. Mit dem Gesetzentwurf wird unsere erfolgreiche bedarfsorientierte Behindertenpolitik, wie sie in den beiden Berichten der Staatsregierung zur Lage der Menschen mit Behinderungen und zur Entwicklung der Rehabilitation im Freistaat dokumentiert wird, konsequent fortgesetzt. «
Doch was hier als Gesetzentwurf durch die Staatsregierung vorgelegt wurde, hat nach Ansicht der PDS-Fraktion mit dem, was die Staatsregierung verlauten ließ und versprochen hatte, nichts zu tun. Die Staatsregierung habe etwa eineinhalb Jahre gebraucht, um das Bundesgleichstellungsgesetz, also Artikel 1, größtenteils abzuschreiben, landesrechtliche Formulierungen anzugleichen und eine Verwaltungsvorschrift in Gesetzestext zu überführen. Der wohl entscheidendste Nachteil dieses Gesetzes sei jedoch, dass er sich auf Behörden und öffentliche Stellen des Freistaates Sachsen beschränkt, ganz im Gegensatz zum Oppositionsentwurf, dessen Gültigkeit bewusst nicht nur auf die Landesinstitutionen festgeschrieben wurde, sondern die Gemeinden, die Landkreise und die sonstigen der Aufsicht des Freistaates Sachsen unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie deren Behörden und sonstige Stellen in diesen Gesetzentwurf mit einbezieht.
Im Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend des Sächsischen Landtages fanden am 8.12.2003 eine Anhörung zum Gesetzentwurf der Fraktionen der PDS und der SPD » Gesetz zur Gleichstellung, gleichberechtigten Teilhabe und Integration von Menschen mit Behinderung im Freistaat Sachsen und zur Änderung anderer Gesetze « sowie am 26.01.2004 die öffentliche Anhörung zum » Gesetz zur Verbesserung der Integration von Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Integrationsgesetz - SächsIntegrG) «, also dem Gesetzesentwurf der Regierung statt.
Alle Sachverständigen sprachen sich für die Schaffung eines Landesgesetzes zur Gleichstellung, Integration und Teilhabesicherung von Menschen mit Behinderungen aus. Die Vertreter der Behindertenvereinigungen zeigten sich mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Staatsregierung sehr unzufrieden. Sie stellten fest, dass die dort enthaltenen Regelungen weit hinter den Intentionen des Behindertengleichstellungsgesetzes auf Bundesebene und hinter dem Gesetzentwurf von PDS und SPD sowie hinter der gesellschaftlichen Praxis im Freistaat zurückbleiben. Für nicht hinnehmbar hielten sie unter anderem auch, dass der Gesetzentwurf die Kommunen völlig ausschließt und konkrete, auch einklagbare Festlegungen zum Beispiel auf den Gebieten barrierefreies Bauen, ÖPNV für alle, Frauen und Familie, Integration in den Arbeits- beziehungsweise Erwerbsprozess nicht enthalten sind. Die kommunalen Spitzenverbände waren zu einer Zustimmung nur dann bereit, wenn die Finanzierung der im Gesetzesentwurf enthaltenen Leistungen durch den Freistaat eindeutig geklärt ist, weil sie befürchten, dass den Kommunen möglicherweise von ihnen nicht tragbare Leistungen aufgebürdet werden.
Der behindertenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Hans-Jörg Kannegießer (zugleich auch Vorsitzender des VdK-Landesverbandes Sachsen), betonte zwar, dass es durchaus Paragraphen beziehungsweise Absätze im Oppositionsentwurf gebe, denen man auch aus CDU-Sicht zustimmen könnte. Dennoch lehnte er wie auch seine KollegInnen im Ausschuss alle Paragraphen und Artikel des Oppositionsentwurfes ab. Mit einigen Änderungen wurde dann ausschließlich mit den Stimmen der Regierungsfraktion dem Gesetzentwurf der Staatsregierung zugestimmt, der dann Ende April 2004 (unter anderem Namen) letztlich auch im Landtag verabschiedet wurde.
(omp/HGH)
Siehe auch die Informationen und Dokumente unter Gleichstellungsgesetz im Freistaat Sachsen, NETZWERK ARTIKEL 3 e.V.