Die Pläne der Bundesregierung, die Freifahrten für Behinderte einzuschränken, stoßen auf scharfe Kritik. Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland ISL e.V. hat der Bundesregierung Konzeptlosigkeit auf Kosten behinderter Menschen vorgeworfen. Geschäftsführerin Barbara Vieweg sagte gegenüber kobinet, nach Sozialhilfe‘reform’, Gesundheits‘reform’, Abschaffung der Arbeitslosenhilfe komme nun der Nachteilsausgleich der unentgeltlichen Beförderung behinderter Menschen ins Visier der Kürzungen und das wieder unter dem Namen ‘Reform’.
» Angeblich geben Bund und Länder zu viel Geld für die Beförderung behinderter Menschen aus. Ausgerechnet wird die Erstattungssumme an die Verkehrsunternehmen auf Grundlage aller Wertmarkenbesitzer. Doch wer von diesen die Verkehrsmittel tatsächlich benutzt, wird nicht erfasst. Viele mobilitätseingeschränkte Menschen können die Busse und Bahnen nicht benutzen, weil sie völlig unzugänglich sind oder sie auf dem Lande wohnen, das ganz und gar vom ÖPNV ausgeschlossen ist «, erklärte Vieweg.
Vorschläge der Behindertenverbände seien nicht umgesetzt worden, so die tatsächliche Erfassung der Fahrten, die behinderte Menschen mit der Wertmarke unternehmen. Nach der Mautpleite trauten sich die Verantwortlichen im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung wohl nicht zu, ein System dafür zu entwickeln. Nun werde der Rotstift bei denen angesetzt, die sich vermeintlich nicht wehren können, denn die Wertmarke soll nur noch am eigenen Wohnort gelten. Vieweg rief deshalb zum Protest gegen diese Pläne auf: » Menschen mit Behinderung bleibt daheim!? Nein wehrt euch gegen Reformen mit dem Rasenmäher! «
Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Karl Hermann Haack (SPD), sagte, er lehne es ab, die Mobilität der sowieso benachteiligten Menschen allein aus Kostengründen weiter einzuschränken. Der Sprecher des Bundessozialministeriums, Klaus Vater, bestätigte indes einen Pressebericht über die Pläne der Regierung. Vater sagte, sein Ministerium habe einen Beschluss von Bundestag und Bundesrat umzusetzen, demzufolge die Zuschüsse an die Bahn und die Nahverkehrsträger bis 2006 reduziert werden müssten. Behinderte Menschen sollten zwar öffentliche Verkehrsmittel benutzen können, um ihren ‘täglichen Verrichtungen’ nachgehen zu können. Es sei aber nicht Sinn der Freistellung, Strecken in angrenzenden Verkehrsverbünden zurückzulegen.
Die Bundesregierung will durch die Kürzungen 17 Millionen Euro einsparen. Es gibt jedoch laut Haack keine belastbare Statistiken darüber, in welchem Umfang die Freifahrten in Anspruch genommen werden.
Für den sozial- und behindertenpolitischen Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion, Markus Kurth, stellt die Mobiliät behinderter Menschen ein Grundrecht dar. » Die Vorschläge des Bundesgesundheitsministeriums zur Einschränkung der Freifahrten für Behinderte lehne ich ab. Die jüngsten Kürzungsvorschläge sollen Teil des im ‘Koch-Steinbrück-Papier’ vereinbarten Subventionsabbaus sein. Man kann aber den Nachteilsausgleich für Behinderte nicht mit Subventionen wie der Eigenheimzulage oder dem Dienstwagenprivileg gleichsetzen und hier pauschal den Rotstift ansetzen, « erklärte Kurth.
Um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, seien Menschen mit Handicaps mehr als andere auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Hierfür müssten auch weiterhin ausreichend öffentliche Mittel bereitgestellt werden. » Die Annahme, dass Behinderte nur in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, ist lebensfremd. Das Zeitalter der Mobilität verlangt auch von Menschen mit Behinderungen einen großen Aktionsradius. Ein wirksamer Nachteilsausgleich muss auch diesen geänderten Realitäten Rechnung tragen. Alle Einsparvorschläge die auf eine pauschale Beschränkung dieser Mobilität hinauslaufen, lehne ich daher ab «, so Kurth.
Nach Ansicht des Beauftragten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Belange der Menschen mit Behinderungen, Hubert Hüppe, stehen die von der Bundesregierung geplanten Streichungen der unentgeltlichen Beförderung Behinderter im öffentlichen Verkehr in Gegensatz zu den Zielen des Gleichstellungsgesetzes. In einer Erklärung sagte der Bundestagsabgeordnete: » Ein großer Schritt rückwärts für die Teilhabe Behinderter sind die gravierenden Einschnitte, die die Bundesregierung bei bisher kostenfreien Bus- und Bahnfahrten für Behinderte plant. Die Einschränkung der Mobilität behinderter Menschen steht in diametralem Gegensatz zu den Zielen des Gleichstellungsgesetzes. «
Ohnehin schwer mobilitätseingeschränkten Menschen würden durch die Abschaffung der kostenfreien Bus- und Bahnfahrten außerhalb ihrer Heimatregion die Möglichkeit genommen, sich fortzubewegen. Die Bundesregierung wolle ihnen damit eine für Nichtbehinderte selbstverständliche Mobilität beschneiden.
Behinderte und chronisch kranke Menschen seien ohnehin finanziell stark belastet. Deshalb seien zusätzlich Einschnitte für diese Personengruppe nicht mehr zumutbar. Hüppe befürchtet, dass finanziell benachteiligte Behinderte kaum mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisen, da sie die Kosten schlichtweg nicht mehr aufbringen können. Kostenfreie Bahnfahrten könne sowieso nur ein besonders betroffener Personenkreis, die Schwerbehinderten, die in ihrer Bewegungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, oder als hilflos, gehörlos oder blind anerkannt sind, in Anspruch nehmen. So sei es generell fraglich, ob die Folgen der Einsparungen in einem vernünftigen Verhältnis zum Einsparpotenzial stehen.
( kobinet )