Die Pressemeldungen, nach denen eine Abschaffung der einkommensunabhängigen Befreiung Schwerbehinderter mit dem Merkzeichen RF von der Rundfunkgebühr erwogen wird, haben unter den Mitgliedern des Deutschen Gehörlosen-Bundes große Irritationen ausgelöst. Wie wir erfahren haben, stützen sich diese Forderungen unter anderem auf das Urteil B 9 SB 2/00 R des Bundessozialgerichts vom 28.06.2000, in dem auf den gebührenrechtlichen Grundsatz der verhältnismäßigen Gleichbehandlung aller NutzerInnen hingewiesen wird.
Der Deutsche Gehörlosen-Bund vertritt nach wie vor die Meinung, dass das Fernsehen für Gehörlose und andere hochgradig Hörgeschädigte als Informationsquelle eine ungleich wichtigere Bedeutung hat, als dies für Normalhörende der Fall ist. Denn diese Personengruppe ist aufgrund ihrer Kommunikationsbehinderung von der Teilhabe an öffentlichen Veranstaltungen weitestgehend ausgeschlossen. Auch die sonst üblichen informellen Gesprächen im sozialen Umfeld können Gehörlose nicht oder nur eingeschränkt führen. Da bei Gehörlosen in der Regel auch erhebliche Probleme beim Verstehen komplexer schriftlicher Texte bestehen, leiden sie zusätzlich zu den Einschränkungen in der Kommunikation unter einem durch die Behinderung verursachten Informationsdefizit.
Dass Gehörlosen, Ertaubten und hochgradig Schwerhörigen bisher auf Antrag die kostenlose Nutzung des visuellen Mediums Fernsehen ermöglicht wird, ist vor diesem Hintergrund nicht als ungerechtfertigte Bevorzugung sondern als Nachteilsausgleich zu werten. Wenn über die Frage der Gebührengerechtigkeit gesprochen wird, muss man sich außerdem vor Augen führen, dass bisher nur ein geringer Prozentsatz des Programms der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender tonsubstituiert (das heißt untertitelt beziehungsweise mit Gebärdenspracheinblendung versehen) und damit für Gehörlose und hochgradighörgeschädigte zugänglich ist. Es kann wohl kaum als ‘gerecht’ bezeichnet werden, dass man für ein Angebot, das man nur zu 5-10 % nutzen kann, zu 100 % zahlen soll.
Bei der Beurteilung der Frage, in welchem Umfang die genannte Personengruppe vom derzeitigen Programmangebot profitieren kann, muss auch die Qualität der Untertitelung berücksichtigt werden. Diese entspricht besonders bei Nachrichten- und Live-Sendungen noch lange nicht dem geforderten Standard einer 1:1-Vermittlung der akustisch wahrnehmbaren Informationen. Neben einer qualitativen und quantitativen Verbesserung der Untertitelung müsste für Gehörlose zudem das gebärdensprachliche Informationsangebot erheblich ausgebaut werden. Aufgrund der beschriebenen Schwierigkeiten, die die meisten Gehörlosen beim Verstehen geschriebener Texte haben, wäre die Verdolmetschung von Nachrichtensendungen, Interviews, polititschen Magazinen und Shows in die Gebärdensprache das Mittel der Wahl zur gleichberechtigten Teilhabe. Auch müsste Gehörlosen die Möglichkeit eingeräumt werden, mehr Sendeminuten als bisher durch gehörlose ModeratorInnen zu gestalten.
Der Deutsche Gehörlosen-Bund und andere Verbände Hörgeschädigter haben ihre Forderungen nach einer besseren Zugänglichkeit des Mediums Fernsehen bisher in moderater Form geäußert und auf eine einvernehmliche und schrittweise Verbesserung des Angebots gesetzt. Sollte die Rundfunkgebührenbefreiung für diesen Personenkreis jedoch abgeschafft werden, müssten Betroffene zur Durchsetzung von Barrierefreiheit und Gleichbehandlung rechtliche Schritte erwägen.
Für die Zahlung der vollen Rundfunkgebühren dürfen Hörgeschädigte zurecht eine qualitativ hochwertige Tonsubstituierung aller öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme erwarten. Die Kosten dafür würden die Einsparungen durch die Abschaffung der Rundfunkgebührenbefreiung allerdings erheblich übersteigen, zumal gleichzeitig auch die Gruppe der Blinden bzw. stark Sehbehinderten eine ihrer Behinderung entsprechende Aufbereitung des Programms fordern dürfte.
Mittlerweile liegt dem Deutschen Gehörlosen-Bund der entsprechende Gesetzesentwurf (Gesetz zur Stärkung der Wirtschaftlichkeit in der Sozialversicherung) betreffend die Änderung der Freifahrtregelung vor. Es ist geplant, dass das Gesetz bereits zum 1. Januar 2006 in Kraft tritt. Zur Einsparung der Ausgleichszahlungen an die Verkehrsunternehmen soll die Freifahrt nur noch im Verkehrsverbund des eigenen Wohnorts gelten und nicht mehr im Umkreis von 50 Kilometern (= Wegfall des Streckenverzeichnisses)
oder in Verkehrsverbünden anderer Städte. Die Anhörung zum Gesetzesentwurf ist bereits am 13. Juli 2004. Daher appelliert der Deutsche Gehörlosen-Bund an alle Gehörlose, andere Hörgeschädigten und Freunde, schon jetzt gegen die geplante Einschränkung zu protestieren! Dazu kann das Musterschreiben der DG heruntergeladen werden.
Einfach eigenen Absender eintragen und an das Bundessozialministerium und das Sozialministerium in Ihrem Bundesland schicken:
Musterschreiben für Gehörlose, die selbst protestieren wollen
www.deutsche-gesellschaft.de/docs/protestschreiben.doc
Adressenliste der Landessozialministerien
www.gehoerlosen-bund.de/download/pdf/adressen_somi.pdf
(Deutscher Gehörlosen - Bund)