von Rainer Sanner
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), Landesverband Berlin hatte für den 7.April zu einem Pressegespräch eingeladen. Das Thema war der Ausschluss und die damit verbundene Diskriminierung von an Multipler Sklerose Erkrankten und anderen chronisch Kranken bei privaten Zusatzversicherungen.
Diese Versicherungen bieten seit dem 1. April 2004 in Kooperation mit gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit, sich auch im Hinblick auf Leistungen zu versichern, die die gesetzlichen Krankenkassen nicht übernehmen oder für die sie Zuzahlungen vorsehen. In dieser Situation werben die gesetzlichen Krankenkassen damit, dass sie jeweils im festen Doppel mit einem privaten Versicherer bei diesem für ihre Mitglieder » spezielle Tarife zu attraktiven Konditionen « bis hin zu einem » deutlichen Rabatt im Vergleich zu den regulären Tarifen « ausgehandelt haben.
Versichern lassen sich so jetzt ein oft größerer Teil, manchmal auch die Gesamtsumme der Zuzahlungen für Zahnersatz, Hilfs- und Heilmittel, Brillen beziehungsweise Kontaktlinsen, das Krankenhaus-Tagegeld, eine Behandlung durch den Heilpraktiker, Wahlleistungen im Krankenhaus wie Ein- oder Zweibettzimmer und privatärztliche Behandlung, Gesundheitsleistungen im Ausland etc.
So werben gesetzliche Krankenkassen jetzt mit wohlklingenden Formeln wie » Komplettschutz aus einer Hand «, prangen auf den Briefköpfen von Antragsformularen jetzt nebeneinander die Signets von gesetzlichen und privaten Versicherern, zeichnet sich aber hinter dieser werbewirksamen Oberfläche bereits ab, dass sich in dieser Situation mit den privaten Versicherern auch deren Risikoabwägungen und die damit oft verbundene Diskriminierung von Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen weiter ausbreiten.
So berichtete eine 42jährige Frau, von Beruf Verwaltungsangestellte, an Multipler Sklerose erkrankt, dass sie auf ihren Antrag bei einer solchen Zusatzversicherung eine schriftliche Ablehnung erhalten hat. In dieser war es folgendermaßen formuliert: » Der Beitrag errechnet sich nicht nach dem Einkommen, sondern nach den persönlichen Merkmalen wie Alter, Geschlecht und möglicherweise Erkrankungen, zu denen auch vergangene Erkrankungen zählen. Ergibt sich ein Risiko, das über dem Durchschnitt liegt, so haben wir die Möglichkeit, Risikozuschläge, Leistungsausschlüsse oder auch Leistungseinschränkungen zu vereinbaren. Es kann aber auch sein, dass vorausgegangene oder bestehende Erkrankungen solche Vereinbarungen ausschließen. Dann können wir keinen Versicherungsschutz anbieten. Dies ist jetzt in Ihrem Fall so ... «
Die Vermittlung durch die gesetzlichen Krankenkassen an private Versicherer erfolgt also zu den Bedingungen des freien Marktes, manchmal mit einem ‘Höchstaufnahmealter’, mit dem rechnenden Blick auf das ‘persönliche Risiko’ und dem Vorenthalten von Versicherungsleistungen für besonders ‘riskante’ Antragsteller. Auch in einer Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Sachsen vom 29. März 2004 wird festgestellt, dass es bei diesen privaten Zusatzversicherungen » oft Altersbegrenzungen, Wartezeiten, Mindestvertragslaufzeiten und Ausschlusskriterien gibt «.
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, Landesverband Berlin e. V. ist der Auffassung, » dass durch die Kooperation von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen die Gleichstellungsgesetze und das Grundgesetz umgangen werden, da Kassenmitglieder für Zusatzversicherungen nach ‘Alter, Geschlecht und Erkrankungen ...’ selektiert werden, um bestimmte Antragsteller von vornherein auszuschließen «. Die jetzige Handhabung wird als eine » eklatante Diskriminierung MS-Betroffener und anderer chronisch Kranker « kritisiert. Gerade für die davon Betroffenen stellt ein solcher Ausschluss von Versicherungsleistungen wohl auch insofern ein besonderes Problem dar, als sie wie MS-Betroffene an einer unheilbaren Krankheit und damit in besonderem Maße unter psychischen Belastungen leiden.
Das so mit den privaten Zusatzversicherungen entstandene Problem wäre zu vermeiden gewesen, wenn den privaten Versicherern mit dem so genannten Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) für diese Zusatzversicherungen ein ‘Kontrahierungszwang’ (ein gesetzlicher Anspruch der Verbraucher auf Abschluss eines Vertrages) vorgegeben worden wäre. Wo dies versäumt wurde, können die privaten Versicherer - anders als sonst die gesetzlichen Krankenkassen - bei diesen Zusatzversicherungen im Rahmen der im privaten Versicherungsrecht geltenden ungleichen Behandlung ungleicher Risiken Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen auch ausschließen.
Damit erheben sich hier für Betroffene jetzt dieselben Probleme, die sich schon länger für Menschen mit Behinderung im Bereich des privaten Versicherungsrechts stellen, wenn es zum Beispiel um Haftpflichtversicherungen, Berufsunfähigkeitsversicherungen, Lebensversicherungen etc. geht: Das zentrale Problem für Menschen mit Behinderung besteht immer wieder darin, in solche Versicherungsverhältnisse überhaupt hineinzukommen.
Während der Bilanzveranstaltung zum EJMB im Februar 2004 wurde im Zusammenhang mit dem Thema » Schaffung eines zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes « darauf hingewiesen, dass bislang auch jegliche Anhaltspunkte für vernünftige Risikoprüfungen in diesem Bereich fehlen, es damit also wohl auch noch selten vernünftig bemessene Risikozuschläge gibt.
Wo im Zuge des Abbaus gesetzlicher Versicherungen immer wieder der Appell zu hören ist, sich doch mit etwas Mut an die privaten Versicherer zu wenden, muss es umso mehr darum gehen, dass Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten nicht wie bisher immer wieder ausgeschlossen und damit diskriminiert werden.
» Es ist unerträglich, dass schwerst- und chronisch kranke Menschen vor dem Gesetz nicht gleich sind «, so die DMSG, und mit diesem » vor dem Gesetz « ist der Gesetzgeber angesprochen, denn auch an dieser Stelle werden mit den neuen Regelungen des so genannten Gesundheitsmodernisierungsgesetzes besonders schutzbedürftige Menschen einmal mehr benachteiligt.